Dienstag, 27. August 2013

Klappe die dritte: Christo

Als Christo und Jeanne-Claude 1995 den Reichstag verhüllten, war ich bereits mitten in meiner Doktorarbeit, außerdem wegen des laufenden Semesters mit Unterrichtsverpflichtungen so eingespannt, dass nur eine Gewalt-Wochenendaktion eine Fahrt nach Berlin möglich gemacht hätte. Mit dem Nachtzug Freitagabend nach Berlin, Samstag in der Stadt, und mit dem nächsten Nachtzug wieder zurück, um dann am Sonntag zu Hause auszuruhen. Wenn man unter dreißig ist, traut man sich so etwas noch zu, und ist dann sogar bereit, sich das auch noch zuzumuten! Allerdings war ich zu der Zeit per Fernbeziehung mit einem Griechen liiert, der zu diesem Zeitpunkt gerade zu Besuch war, diese ganze Verpackerei für völligen Blödsinn hielt und eindeutig keine Lust hatte, zwei Nächte hintereinander im Zug zu verbringen. Er hat es tatsächlich geschafft, mir mein festes Vorhaben auszureden. (Was das eigentlich über unsere Beziehung aussagte, habe ich erst deutlich später gemerkt, aber das ist eine ganz andere Geschichte.) Jedenfalls habe ich den verpackten Reichstag nicht gesehen, nur später noch eine großformatige Fotografie erstanden.

picture taken from here

Als Christo und Jeanne-Claude 1998 die Bäume in Basel verpackten, hatte ich schon alles arrangiert, um meine Freundin in Weil am Rhein zu besuchen, deren Fenster den vollen Blick auf die Foundation Beyeler haben, und von deren Wohnung man zu Fuss hätte hingehen könnnen. Leider wurde die Verpackung ein paar Tage früher beendet als ursprünglich angekündigt, weil die herabfallenden Laubmassen in den Verpackungen die Äste der verpackten Bäume zu beschädigen drohten, und meine für das letzte Wochenende der Aktion geplante Fahrt fand dann ohne Besuch der Bäume statt.
Als Christo und Jeanne-Claude 2005 im Central Park zugange waren, war ich hochschwanger und konnte nicht daran denken, in die USA zu fahren, diese (verpasste) Chance zählt also nicht mit. Mein Mann hat mich anschließend durch zahlreiche Büchergaben zum Thema beschenkt.
Zwei Jahre später konnten wir zufällig in Rostock eine Ausstellung sehen, die einen Überblick über bis dahin realisierte Projekte von Christo und Jeanne-Claude bot, was auch schon sehr interessant war. Damals glaubte ich, vermutlich auch das nächste, in Aussicht gestellte Projekt des „Covered River“ nicht erleben zu können. (Stattdessen erhielt mein damals knapp eineinhalbjähriger Sohn das erste Job-Angebot seines Lebens, da der Aufsichtsmann ihm Chancen als lebendige Warnanlage zuschrieb – die hohen Gänge waren einfach zu verlockend, herumzulaufen und mit lauten Rufen und Kreischern das Echo und Klangentwicklung im Museum auszuprobieren…)
Als ich im März diesen Jahres nun davon hörte, dass Christo im Gasometer in Oberhausen ein „Big Air Package“ installierte, habe ich ganz intensiv darüber nachgedacht, wie es denn möglich wäre, dieses Mal… Zuerst schien sich nichts zu ergeben. Aber als ich von einer Hausmesse meines Stoff-Lieferanten erfuhr, und auf die Landkarte schaute, wurden Wünsche wach. Mein geduldiger und liebevoller Mann unterstützte die Idee durch äußerst konstruktive Vorschläge, und nun habe ich es geschafft: mein erster Christo, ‚live’.
Gabi Mett hat neulich auf dem Texismus-Blog über ihren Besuch berichtet. Da wusste ich schon, dass ich auch bald dort sein würde.
Mit dem Bus bin ich bis zur Oberhausener „Neuen Mitte“ gefahren, und dann habe ich mich dem Ganzen sozusagen von oben genähert, ich bin nämlich erst außen am Gasometer die Treppen hinaufgestiegen und habe mir die Aussicht von der Aussichtsplattform angesehen.

und ich bin alle 110m hochgeklettert!

Dann bin ich mit dem Panoramaaufzug runtergefahren, habe mir erst die ganze Dokumentation und Ausstellung über die verschiedenen Projekte angesehen, obwohl ich über die ja inzwischen wirklich gut Bescheid weiß.

Interessant: grafische Darstellung der Projekte
und ihrer Verwirklichungszeiträume


Auf dieser Projektionsfläche wurden in Realzeit die Aufnahmen gezeigt, die eine oben angebrachte Kamera vom Inneren der Skulptur aufzeichnet – von weitem sah es erstmal so aus, als ob ein paar Insekten unter einer Glasplatte gefangen waren. So sind auch die Besucher an der Entstehung eines weiteren Kunstprojektes beteiligt, denn ihre Bewegungen im Innenraum der Skulptur zeichnen ein eigenes Muster.


Und dann erst bin ich auch in die Luftskulptur hineingegangen.

Blick nach oben

Verschiedene Arten der Betrachtung

weiß in weiß

Luftloch, in das die Luft eingepumt wird

In der Hülle konnte mein einerseits sitzen, herumgehen, oder, wenn man Glück hatte, sich auf einem der Lederkissen hinlegen und in die 90 m über einem schwebende Lichtkette schauen. Zwar war wegen der zahlreichen Besucher – darunter etliche Kinder, die mich in ihrem Alter und Gebaren durchaus an meinen Sohn im Rostocker Museum erinnerten – von der auf diversen Tafeln beschworenen ergreifenden Stille nicht wirklich viel zu merken. Aber ein ergreifender und lohnender Besuch war es doch.
„Big Air Package“ ist noch bis Ende Dezember zu sehen, und man sollte wirklich viel Zeit mitnehmen, damit man sich lange innen aufhalten kann.

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