Samstag, 13. Juni 2015

Schweigepflichtentbindungserklärung. Oder: Mäuse melken.

Die Lernsteilkurve über politisches Asyl und damit verbundene Schwierigkeiten, die ich zur Zeit hinlege, ist in den letzten Wochen nicht abgeflacht.
Einer der Syrer hatte seine Duldung abgenommen bekommen, ohne je seinen Abschiebebescheid, oder besser gesagt, seine ‚Rückführungsbenachrichtigung’ (nach Ungarn) bekommen zu haben. Der eingeschaltete Rechtsanwalt hat dann festgestellt, dass der Bescheid bereits im Januar an die Adresse der Erstaufnahmeeinrichtung gegangen, aber nicht an das Bundesamt für Migration zurück oder gar an den wahren Adressaten weitergeschickt worden war. Trotz der Tatsache, dass er nicht mit seiner Unterschrift den Empfang bestätigt hatte, wurde alles aber als ‚zugestellt’ gewertet. Dasselbe haben wir in einem weiteren Fall festgestellt, allerdings handelte es sich da noch nicht um den Abschiebebescheid, sondern ‚nur’ um Poststücke, die Informationen über den bereits in Deutschland lebenden Bruder einforderten. Auch dieses Schriftstück wurde nicht zugestellt, nicht weitergeleitet, aber die Nicht-Beantwortung von seiten des Antragstellers als negativ für den Antrag gewertet. Auch hier haben wir einen Anwalt eingeschaltet.
Anschließend habe ich mich hingesetzt und den Fall brieflich an den Landrat, mehrere Landtagsabgeordnete, Bundestagsabegeordnete und Flüchtlingsorganisationen gemeldet. Immerhin kamen daraufhin ein paar Reaktionen, allerdings unterschiedlich in ihrer Tendenz. Der zuständige Sachbearbeiter des Landrats sieht keine Verantwortung des Landkreises, weil es sich um eine Erstaufnahmeeinrichtung in einem anderen Landkreis handelt – hat aber zugegeben, dass in der Notaufnahme hier im Landkreis ebenfalls Probleme mit der Postzustellung bestehen. Eine Notwendigkeit, damit an die Öffentlichkeit zu gehen, sieht er nicht.
Zwei Anrufe von Büros der Landtagsabgeordneten zweier Parteien scheinen anzuzeigen, dass die wenigstens nachfragen wollen, was denn da los ist – den Asylbewerbern würden so viele offizielle Pflichten auferlegt, da dürfe es doch nicht passieren, dass auf ‚unserer Seite’ die Postzustellung nicht funktioniert. Einer der Anrufer hat sich dann an den Rechtsanwalt gewendet, der wiederum korrekterweise keine Auskünfte über den Fall geben kann, ohne dass ihm eine Schweigepflichtentbindungserklärung des Mandanten vorliegt. Ich fand mich nun also in der Situation, einem jungen Mann, der zwar für die 6 Monate, die er sich in Deutschland aufhält, schon ziemlich gut Deutsch spricht, aber vermutlich aus seinem Land nicht unbedingt das Prinzip der Schweigepflicht kennt, erstmal das Prinzip der anwaltlichen Schweigepflicht zu erklären, und ihn dann zu bitten seinen Anwalt von gerade eben dieser Schweigepflicht zu entbinden...
Erst am Tag vorher hatten wir über die Zahl der Buchstaben in deutschen Substantivverbindungen geredet– sein Beispiel: Vorstellungsgespräch hat 20 Buchstaben! geht das? ich: das geht noch länger, z.B. Vorstellungsgesprächstermin, oder sogar Vorstellungsgesprächsterminverschiebung. Da konnte die Schweigepflichtentbindungserklärung immerhin auf diesem Gebiet schwer punkten.

Das ist wirklich nur ein kleiner Ausschnitt der Dinge, die ich in den letzten Wochen auf diesem Gebiet beackert habe. Andere Rechtsanwaltsgespräche. Seit Wochen versuchen wir, vom Landratsamt eine Aussage darüber zu bekommen, ob eine kostspielige Zahnbehandlung bei einem Kleinkind, dessen Zähne völlig kaputt sind, übernommen wird oder nicht. (Jetzt scheint aber vielleicht doch noch Bewegung in die Sache zu kommen. Zusätzliche Gutachten müssen eingeholt werden...)  Drei Afrikaner, die allesamt entweder einen Arbeits- oder Ausbildungsvertrag bei örtlichen Firmen bekommen haben, und alle bereits sehr gut Deutsch sprechen, erhalten vom Landratsamt keine Arbeitserlaubnis, weil sie keinen Pass vorlegen können, die Botschaft ihres Landes stellt ihnen aber keinen Pass aus, weil sie keine Geburtsurkunde vorlegen können. ...


Und man hat den Eindruck, die ganze Sache ist eher zum Mäuse melken, als dass man mit einem normal funktionierenden Menschenverstand da noch durchkommt. Wenn unter den Asylbewerbern nicht so feine Menschen wären, die kennengelernt zu haben eine echte Bereicherung ist, könnte man wirklich Frust schieben. Da ist eine Tretbootfahrt am See eine echte Ablenkung, Abkühlung und Erdbeeren inbegriffen. 


Leider ist die auch schon wieder zwei Wochen her, nach der Fahrt zum Anwalt.

2 Kommentare:

  1. Danke für den Beitrag. Ich merke, dass sich leider in den letzten 20 Jahren in gewissen Dingen nichts geändert hat. Weiter so, Don Quichotte!
    Sonja

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    1. 'nichts geändert' ist, glaube ich, eine sehr beschönigende Bezeichnungsweise. Zwar war ich vor 20 Jahren auf diesem Gebiet noch nicht aktiv, habe allerdings den Eindruck die Abschottungsbestrebungen sind noch wesentlich stärker ausgeprägt, die Mechanismen so perfide... Aber wenn ein Frosch in die Milch springt und lange genug paddelt, muss irgendwann mal Butter bei rauskommen!

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