Montag, 1. August 2011

Ré Soupault, Künstlerin im Zentrum der Avantgarde

Vor einigen Wochen hatte mein Mann ein Faltblatt mit dem Jahres-Programm „Ostdeutschen Galerie“ in Regensburg mitgebracht. Da ich mal wieder Lust auf einen kleinen Museumsausflug hatte, sind zwei Freundinnen und ich zusammen für einen Tag nach Regensburg gefahren, um die dort stattfindende Ausstellung „Ré Soupault – Künstlerin im Zentrum der Avantgarde“ zu sehen. Zugegebenermaßen: ich hatte nie vorher etwas von Ré Soupault gehört, aber die Beschreibung im Faltblatt klang äußerst spannend.

Eingangshalle zur Ausstellung in der Ostdeutschen Galerie

Ré Soupault wurde ursprünglich als Erna Niemeyer geboren, und muss eine Frau mit einem sehr eigenen Kopf gewesen sein. Geboren im Jahr 1901 – genauso alt wie meine Großmutter! – war sie ab 1921 eine Studentin am Bauhaus, wo sie ganz besonders von Itten beeinflusst wurde, dessen ‘Vorkurs’ sie freiwillig sogar gleich zweimal belegte.

"Blinde Bilder" nach der Art von Ittens Vorkurs

 Allerdings wurde sie schon bald technische Assistentin von Viking Eggeling, den sie bei der Erstellung seiner his “Diagonalen Symphonie” unterstützte, dem ersten abstrakten Film. Danach kehrte sie nicht mehr an das Bauhaus zurück, weil sie den beim Umzug Dessau vollzogenen Schwenk hin zu Funktionalismus und Industrialisierung nicht mittragen wollte. Sie arbeitete als Modezeichnerin und Modekorrespondentin für Berliner Zeitschriften, ging für diese nach Paris, wo sie schließlich ihre eigene Modekollektion entwarf, mit der sie die Pariser Szene mächtig aufmischte. In ihrer “Ré Sport” entwickelte sie konsequent Kleidung für die moderne arbeitende Frau, unter anderem entwickelte sie ein sogenanntes “Transformationskleid”, das durch Beifügung verschiedenster Accessoires als ein Kleid für die  verschiedensten Gelegenheiten einsetzbar war.

Transformationskleid von Ré Soupault

Nach dem Unfalltod ihres Geldgebers musste sie allerdings ihren Modesalon schließen. Sie lernte den französischen Surrealisten Phillipe Soupault, den sie auf seinen Reportagereisen durch Europa begleitete. Auf diesen Reisen begann sie zu fotogrphieren und steuerte bald die Fotos zu seinen Reportagen bei, unter anderem reisten sie durch Spanien und Skandinavien. Im Auftrag der französischen Regierung zogen sie Ende der 30er nach Tunesien, und auch hier setzte Ré Soupault ihre fotografischen Arbeiten fort. Unter anderem gelang es ihr, Aufnahmen im ‚Geschlossenen Viertel’ von Tunis zu machen, wo muslimische Frauen ohne Familie lebten.

Katalogseite mit Fotos aus den "quartiers reservés"

Während des Krieges wurde ihr Mann verhaftet, zeitweise interniert, und anschließend mussten sie Tunis unter Zurücklassen ihrer ganzen Habe in Richtung Algier verlassen. Damals verlor Ré Soupault ihre gesamte Fotoausrüstung. Ein Teil ihrer Besitztümer tauchte ein paar Jahre später wieder auf einem Basar auf, wo eine Freundin sie entdeckte.
Von Algerien aus gelang es ihnen schließlich, in die Vereinigten Staaten zu gelangen, wo sie begann, als Übersetzerin zu arbeiten. Auf einer Reise mit ihrem Mann durch Südamerika ‚schoss’ Ré Soupault das eindrucksvolle Selbstporträt, das ihrer fotografischen Leistung würdig ist: bei einer Schießbude in Buenos Aires traf sie ins Schwarze und löste so das Bild aus, das sie als Preis bekam.

Selbstportrait Ré Soupault

Nach dem Krieg trennte sich das Ehepaar, Philippe Soupault kehrte bald nach Europa zurück, während Ré noch einige Jahre versuchte, in New York endgültig Fuß zu fassen, bevor auch sie wieder nach Europa zurückkehrte. Hier arbeitete sie weiter als Übersetzerin, erst in Basel, anschließend wieder in Paris, und begann, immer wieder Radio-Reportagen über eine Vielzahl von Themen zu verfassen. Sie übersetzte u.a. Romain Rolland und Lautréamont ins Deutsche, letzterer hatte bis dahin als praktisch unübersetzbar gegolten. Ihr Mann, mit dem sie wieder zusammengefunden hatte, autorisierte sie als die einzige legitime Übersetzerin, als ein deutscher Verlag in den 80er Jahren seine Werke herausbringen wollte. Dadurch entstand dann auch der Kontakt, über den Rés eigene Werke wieder bekannt werden sollten, nachdem sie dem Verleger ihres Mannes (Wunderhorn Verlag) ihre Fotos aus den dreissiger und vierziger Jahren gezeigt hatte.

Dieser stark gekürzte Überblick über ihr langes und bewegtes Leben ist zum großen Teil dem hervorragend gemachten Katalog zur Ausstellung entnommen.



Ré Soupault 1996, im Alter von 95 Jahren, nachdem sie noch erlebt hatte, dass ihr eigenes Werk Anerkennung und Beachtung fand.

Die Ausstellung in Regensburg zeigt eine Vielzahl von Dokumenten, die Ré in ihrer Position inmitten der künstlerischen Avantgarde präsentiert, und einen guten Überblick über ihre vielfältigen Karriereschritte bietet.

Sie hat sie alle gekannt -
Ré Soupault inmitten der künstlerischen Avantgarde

Anrührend eine Vitrine, in der ca. 30 ihrer kleinformatigen Kalendernotizbücher nebeneinander liegen:


Was ich an ihr so unglaublich faszinierend finde, ist, dass sie ganz offensichtlich einen ganz besonders starken Willen hatte, und sich von keinerlei Widrigkeiten des Lebens entmutigen ließ. Wenn irgendetwas nicht mehr funktionierte, ließ sie es hinter sich und fing etwas Neues an – und war immer wieder auffallend gut in dem jeweiligen neuen Gebiet. Filmschaffende, Modezeichnerin, Modereporterin, Modedesignerin, Fotografin, Reporterin, Übersetzerin, Radio-Reporterin – was für eine beeindruckende Liste an ausgeübten Berufen! Und offensichtlich hatte sie das Talent, sich nicht von irgendwelchen Erinnerungen niederdrücken zu lassen. Wenn etwas vorbei war, hat sie keine weiteren Gedanken daran verschwendet, mit ein Grund, warum ihre Fotografien so lange unbekannt geblieben sind, denn nachdem sie diese zurückbekommen hatte, hat sie die Schachtel kaum geöffnet, erst nach über vierzig Jahren wieder mit jemandem darüber gesprochen.
Eine weitere interessante Fotografin, deren Werk aus einer Schachtel geborgen werden muss. Allerdings ist über Ré Soupault doch einiges mehr bekannt als über Vivian Maier. Ihre Fotos sind jedenfalls ähnlich spannend und aufwühlend.

Die Ausstellung dauert noch bis zum 4. September. Sehr empfehlenswert!

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