Freitag, 2. Dezember 2016

In was für einer Gesellschaft wollen wir eigentlich leben?



Dies ist ja nicht eigentlich ein politisch orientierter Blog, jedenfalls war das überhaupt nicht meine Absicht, als ich mit dem Beginn des Stoff-Abos angefangen habe, diesen Blog zu schreiben. Die Flüchtlingsproblematik der letzten Jahre allerdings hat mich schon vor meinem eigenen ehrenamtlichen Engagement im Helferkreis sehr bewegt und insgesamt einen politischer denkenden Menschen aus mir gemacht, als ich es vorher war. Obwohl ich mir immer schon eingebildet habe, nicht völlig hinter dem Mond zu leben, was politisches Denken und Bewusstsein angeht.
Als ich vor einem Jahr aus meinem Neuseelandurlaub zurückgekommen bin und nach der viel zu kurzen Auszeit deutlich gemerkt habe, wie sehr mich die ganze Situation tatsächlich mitgenommen hatte, hatte ich mir vorgenommen, politische Aussagen und mein damit verbundenes Engagement auch wieder aus dem Blog herauszuhalten. Quilten und Färben ist ein Teil meines Lebens, aber der hat nicht unbedingt etwas mit dem anderen zu tun, oder doch nur manchmal, wenn der Text auf einem Quilt in meiner Serie text messages plötzlich sehr politisch wird... Trotzdem habe ich mich dann entschlossen, die Chance  zu nutzen und im speziellen Projekt der Flüchtlingsklasse Deutsch zu unterrichten. Einerseits, weil ich gerne Deutsch als Fremdsprache unterrichte (jetzt im Nachhinein wird mir klar, dass das natürlich das neue berufliche Betätigungsfeld hätte sein müssen, als ich damals meinen Abschied aus der Universitätslandschaft und der Sprachwissenschaft genommen habe), andererseits, weil ich darin eine Möglichkeit gesehen habe, doch mein Engagement für die Menschen, die ja hinter diesem schrecklichen Wort „Flüchtlingsproblematik“ (oder Flüchtlingswelle, oder Flüchtlingskrise, oder wie immer man es nennen möchte) stecken, fortzusetzen, wenn auch mit ein bisschen Bezahlung für wenigstens einen Teil des Einsatzes. 
Dass ich mich schnell wieder über das vereinbarte Stundenmaß hinaus engagieren würde, war mir  ziemlich klar gewesen, als ich die Bewerbung abgegeben habe. 
Ich wusste allerdings nicht, wie sehr es mich emotional einbinden würde, zu erleben, wie es Flüchtlingen aus Afrika hier ergeht, im Gegensatz zu den Syrern, mit denen ich es im letzten Jahr zu tun hatte. Es ist eine Sache, mit Leuten zu tun zu haben, von denen man mit ziemlicher Sicherheit weiß, dass sie zwar vielleicht erst in vielen Monaten, aber doch dann irgendwann den Aufenthaltsstatus erhalten werden, oder mit Leuten, die praktisch keine Hoffnung haben, als Flüchtlinge anerkannt zu werden. (Über die verschiedenen Abstufungen von Flüchtlings-Definitionen will ich mich hier auch gar nicht auslassen.) Aber das Schlimmste ist nicht diese Aussichtslosigkeit ihres Anliegens. (Sie haben ja kleine Tricks, mit denen sie versuchen, die endgültige Entscheidung möglichst weit hinaus zu schieben.) Sondern das Schlimmste ist das Drumherum, wie die Behörden und diese Gesellschaft mit diesen Menschen umgehen. Wenn ich im Ausländeramt erleben, wie Afrikaner von oben herab behandelt werden, wie mit ihnen umgegangen wird, dann möchte ich vor Scham im Boden versinken. Wenn ich höre, dass manche Afrikaner inzwischen nicht mehr mit dem Fahrrad, das sie von Mitgliedern der Helferkreise geschenkt bekommen haben, weil sie immer wieder von der Polizei angehalten worden sind, die sie aufgefordert hat, eine Quittung vorzuweisen, um zu beweisen, dass sie dieses Fahrrad nicht gestohlen haben (und das waren bestimmt meistens eher schlichte Fahrräder, und keine superteuren Mountainbikes!), dann schnürt es mir die Kehle ab.
Wer von uns führt schon eine solche Quittung bei sich - wer von uns ist schon einmal mit diesem Anliegen angehalten worden? Warum werden fahrradfahrende dunkelhäutige Menschen angehalten, um nachzuweisen, dass das Fahrrad nicht gestohlen worden ist, wenn hellhäutige Menschen nicht genauso häufig angehalten werden? Wenn das keine Schikane ist, was ist es dann? Von blöden Kommentaren durch Unbekannte auf der Straße mal ganz zu schweigen.
Ich könnte noch einige andere Dinge berichten, die in den letzten Wochen hier durch den Schulalltag gegeistert sind und weitaus mehr emotionales Engagement erfordert haben, als die bezahlten 10 Unterrichtsstunden, die ich an drei Vormittagen in der Woche abhalte. Und die mich manchmal zweifeln lassen an meinen Mitmenschen und deren Einstellung anderen Menschen gegenüber.

Ein Bekannter - einer, über den ich nicht zu verzweifeln brauche - brachte es neulich mit dieser kleinen Beschreibung auf den Punkt:
Man muss sich vorstellen, Deutschland als Ganzes sind 100 Leute, die an einer üppig gedeckten Tafel sitzen, zusammen essen und trinken, und vielleicht sogar ein bisschen feiern. Es ist mehr als genug für alle da. Dann kommt einer, der ein wenig anders aussieht, dazu und fragt, ob er sich mit an den Tisch setzen darf. Erst betretene Gesichter, dann schließlich doch ein ‚na gut‘, alle rutschen ein ganz klein wenig zusammen, und der Hinzugekommene darf mit am Tisch sitzen, kriegt auch etwas zu essen. Und dann kommt ein zweiter, der gerne auch mit am Tisch sitzen möchte. Und jetzt heißt es, nein, das geht nicht mehr, wir haben keinen Platz und überhaupt ist nicht genug für alle da.
Das sind die Zahlen der sogenannten Flüchtlingskrise. Zu 80 Millionen sind achthunderttausend dazugekommen, und jetzt schreit Bayerns oberster Schreihals nach einer Obergrenze, immer noch, immer wieder - und was will er überhaupt mit diesem Geschrei erreichen, außer einer Radikalisierung der politischen Landschaft?

Mir ist es fast körperlich unerträglich, dass es in Deutschland wieder Menschen gibt, die davor Angst haben, von der Polizei abgeholt und in irgendwelche Lager gesteckt zu werden. Haben wir davon nicht schon mehr als genug gehabt? Was nehmen uns die Flüchtlinge denn wirklich weg? Die meisten wollen arbeiten, und viele sind sogar bereit, die Drecksjobs zu machen, die den Deutschen nicht mehr gut genug sind. Und gerade die Afrikaner, die in Bayern inzwischen nicht einmal mehr das dürfen, würden diese Drecksjobs machen, für die sich z.B. viele Syrer auch wieder zu schade sind. In meiner Klasse sind mehrere Senegalesen, die bereits Arbeitsplätze hatten, sie haben Steuern und Sozialabgaben gezahlt und fühlten sich auf dem besten Weg, sich allmählich zu integrieren. Die Deutschkenntnisse dieser Afrikaner sind deutlich besser als die vieler Syrer. Was soll diese Abschiebementalität, dieses Verbreiten von Angst, diese Willkürmaßnahmen? Warum können die Afrikaner, die jetzt schon mal hier sind, nicht einfach auch mit am Tisch sitzen. Es ist genug für alle da - und feiern können sie allemal besser als wir!
Ich muss vielleicht doch noch diese Partei gründen, von der ich schon mal geschrieben habe (aber ich konnte eben den Eintrag nicht finden) - nur würde ich sie doch ein wenig anders nennen, Bündnis für Gerechtigkeit und Toleranz, oder so ähnlich. Das gilt nämlich auch für alle Deutschen. Viele Möglichkeiten…aber vielleicht doch nur zum Träumen?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen