Samstag, 23. Juni 2012

Auf der Suche nach Marg Moll, Teil II


Als ich auf Föhr einmal im Museum Kunst der Westküste
im Café saß, blätterte ich beim Tee trinken nebenbei gedankenlos in einer der ausliegenden kostenlosen Kunstzeitungen. Beim ersten Mal habe ich es noch nicht einmal bemerkt, aber beim nur zufüllig erfolgten zweiten Durchgang bin ich vor Schreck bzw. Überraschung fast erstarrt: der Artikel barg eine Menge Sprengstoff.


Die in Berlin im Bauschutt gefundenen Skulpturen im Museum für Kunst und Gewerbe  in Hamburg! Meine Suche nach Marg Moll hatte ich zwar in letzter Zeit etwas weniger intensiv verfolgt, aber nicht aus den Augen verloren. Im März hatte in Berlin ein Symposium zum Thema „Berliner Skulpturenfund  stattgefunden. Und nun dies – die Skulptur, die mein erstes Interesse geweckt hatte, direkt an unserem (Heim)Weg im Museum, sozusagen ein Stolperstein. Einerseits hatte ich das Gefühl, mit der intensiven Verfolgung der gehäkelten Korallen schon die Geduld meiner mitreisenden Männer stark auf die Probe gestellt zu haben. Andererseits konnte ich mir nicht wirklich vorstellen, diese einmalige Gelegenheit nicht zu nutzen. Schließlich würde ich bestimmt nicht vor Ende dieser Ausstellung im Oktober nicht noch einmal so weit nach Norden vordringen können. Gewissensqualen! Dann hatte ich mich schwersten Herzens innerlich darauf eingestellt, dass ich diese Ausstellung nicht würde sehen können.
Aber das Schicksal kam mir unerwarteterweise noch zu Hilfe.
Schon bevor ich diese Entdeckung gemacht hatte, hatten mein Mann und ich überlegt, wie wir den Tag unserer Abreise würden gestalten wollen – die abendliche Abfahrt des Nachtzuges aus Hamburg erforderte regulär eine Abreise mit der Fähre am frühen Nachmittag und zerstückelte den Tag doch erheblich. Die Wohnung musste geräumt werden, den Strandkorb hatten wir auch nicht mehr, und das Wetter sollte uns auch nicht hold werden. Also überlegten wir, ob vielleicht eine frühere Abreise und Hafenrundfahrt in Hamburg ein angemessenes Tagesprogramm für den mitreisenden Jungen wären. Aber beim Frühstück kam mein Mann noch auf die Idee, ob nicht vielleicht ein Festlandsabstecher nach Seebüll zu Ada und Emil Nolde möglich wäre. Nach Überprüfen der Fahrtzeiten und Möglichkeiten haben wir uns dann zwar dagegen entschieden – aber da mein Mann von sich aus das Thema Kunst/Museum nochmal angeschnitten hatte, habe ich dann meinen ganzen Mut zusammengenommen und ihm von meiner Entdeckung der Hamburger Ausstellung erzählt. Das Ende der Verhandlungen sah so aus, dass ich in Hamburg ins Museum durfte, während die beiden sich eine angemessene Kneipe suchen würden, in der sie das erste Europameisterschaftsspiel des Abends anschauen würden, bevor wir dann den Zug erreichen konnten.
Das Museum für Kunst und Gewerbe liegt äußerst günstig für Bahnreisende direkt gegenüber des Hamburger Hauptbahnhofes, und in der Garderobe nehmen sie auch kleinere Koffer in Verwahrung, die nicht mehr ins vollgepackte Schließfach gepasst haben.

Ankündigung der Ausstellung, vom Bahnhof kommend

Es war eine sehr bewegende Ausstellung. Fünf der wiedergefundenen Skulpturen waren ursprünglich im Bestand des Museums für Kunst und Gewerbe, dann aber 1937 von den Nazis als „entartet“ dem Museum entzogen worden, bevor sie in den diffamierenden Ausstellungen „Entartete Kunst“ 
gezeigt wurden. Deshalb greift die Ausstellung rund um die gezeigten und soweit wie möglich restraurierten Skulpturen aus der Berliner Baugrube das Thema der durch die Nazis ausgeübten Kunstdiffamierung auf. Es werden Namen, Schicksale und Werke anderer Künstler, die zur selben Zeit aus den Beständen des Museums entfernt wurden, vorgestellt. In einer Dokumentation werden die Ausgrabungen, bei denen der „Berliner Skulpturenfund“ gemacht wurde, erläutert.



Und die elf identifizierten Künstler (darunter drei Künstlerinnen) werden einzeln, mit den gefundenen Werken und ihrem weiteren Lebensweg, vorgestellt.




Und dann – für mich – der Höhepunkt: die Skulpturen selbst. Alle sind beeindruckend, in der heutigen, meist deutlich beschädigten oder stark fragmentierten, Form stellen sie Mahnmale der besonderen Art dar.


Dass ich mich selbst jetzt so auf die „Tänzerin“ von Marg Moll eingeschossen habe, ist sicherlich subjektiv und für andere vielleicht nicht nachvollziehbar. Aber mich hat es unbeschreiblich berührt, diese Skulptur, die mir das erste Mal vor eineinhalb Jahren auf der Titelseite der Süddeutschen Zeitung ‚ins Auge gesprungen’ war, in Wirklichkeit vor mir zu sehen. Fast hätte ich geweint.



Der Vergleich mit der Abbildung der Skulptur in ihrer ursprünglichen, unbeschädigten Form endete für mich sogar in der Erkenntnis, dass sie in ihrer heutigen Form wesentlich aussagekräftiger ist als früher. Einerseits natürlich wegen der Beschädigungen, die noch deutlich erkennbar sind. Andererseits aber auch, weil der ursprüngliche Reifen der Tänzerin verlorengegangen ist. Ohne ihn ist die Pose des Tanzens noch stärker wesensbestimmend, finde ich.


Ein kleiner Katalog dokumentiert den Berliner Skulpturenfund, allerdings nicht die geschichtlichen Ergänzungen der Hamburger Ausstellung.


Bei Verlassen des Museums war ich richtiggehend erschlagen. Es schmerzt, darüber nachzudenken, welche kulturellen Verluste uns allen durch die infame Ausgrenzungs- und Vernichtungspolitik der Nazis entstanden sind, von den menschlichen Schicksalen, die dahinterstehen, natürlich ganz zu schweigen. Um diesen Verlust wenigstens ein ganz kleines bisschen auszugleichen, möchte ich hier die in der Hamburger Ausstellung gezeigten Künstler hier durch namentliche Nennung noch einmal würdigen. Selbstverständlich ist das nur in Vertretung der zahlreichen anderen Menschen, die auf die eine oder andere Art Opfer des Nationalsozialismus wurden zu verstehen.

Otto Baum (1900-1977) 
Karl Ehlers (1904-1973) (wird bei Wikipedia nur in einem anderem Eintrag mit einem Werk erwähnt) 
Otto Freundlich (1878-1943) 
Richard Haizmann (1895-1963) 
Karl Knappe (1884-1970) 
Will Lammert (1892-1957) 
Marg Moll (1884-1977) 
KarelNiestrath (1896-1971)
Emy Roeder(1890-1971) 
Edwin Scharff (1887-1955) 
MillySteger (1881-1948) 
Gustav Heinrich Wolff (1886-1934) 
Fritz Wrampe (1893-1934) (wird bei Wikipedia nur in einem anderem Eintrag erwähnt) 

Die fünf Hamburger Skulpturen werden wohl – so die Auskunft einer Aufsicht – dem Museum für Kunst und Gewerbe wieder zurückgegeben. Also wird es die Ausstellung in dieser Form nicht mehr geben. Ob die anderen Skulpturen ebenfalls an die jeweiligen Ursprungsmuseen zurückgegeben werden, wusste die Aufsicht nicht, ist aber jedenfalls anzunehmen. Die „Tänzerin“ ginge dann nach Breslau. Wie gut, dass ich nicht bis nächstes Jahr gewartet habe, um nach Berlin zu fahren und sie dort im Neuen Museum zu besichtigen, wie ich es mir eigentlich vorgestellt hatte.

1 Kommentar:

  1. Zu Fritz Wrampe verzeichnet nun auch Wikipedia einen Eintrag: https://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Wrampe

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