Von meinem Koffer, der auf der Fahrt zu meinen Eltern
verschwunden ist, gibt es keine Spur. Die Polizei kann trotz Vidoeaufnahmen
nicht feststellen, wann der Koffer verschwunden ist oder die S-Bahn verlassen
hat, das Fundbüro hat „keinerlei Meldungen bezüglich des gesuchten
Gegenstandes“. Ernsthaft damit gerechnet habe ich auch nicht, und es tut auch
schon lange nicht mehr so weh, dass die Gegenstände verschwunden sind. Im
Gegenteil – ich habe den Eindruck, dass der Verlust ein bisschen dazu
beigetragen hat, eine Art Aufräummodus zu verstärken. Und das ist sicherlich
kein ‚Frühjahrsputz’, dazu habe ich nämlich in allen vorhergehenden Jahren eher
wenige Neigung verspürt. Ich merke nun, dass ich immer wieder dabei bin,
auszumustern, auszumisten, wegzugeben. Nicht in wirklich großem Stil,
wohlgemerkt, das käme wohl erst so richtig in Gang, wenn ein Umzug bevorstünde,
was aber derzeit nicht mal mehr gedanklich angepeilt wird, aber in kleinen
Schritten.
Heut früh z.B. habe ich mich entschlossen, ein Projekt
abzubrechen, das ich im Dezember letzten Jahres versuchsweise angefangen hatte.
Es hieß „Poesie des Wissens“ und basierte auf der Wissen-Seite aus der Süddeutschen
Zeitung. Ich hatte angefangen, aus den Überschriften und Bild-Erläuterungen,
die auf der Seite auftauchen, collage-artige Gedichte zu machen.
Das waren die Regeln: der
Großteil des Textes rekrutiert sich aus den Überschriften/Erläuterungen und,
wenn nötig, Texten des jeweiligen Tages. Von der Rückseite konnten auch Worte
genommen werden, in allergrößter ‚Not’ auch ein paar aus einem Töpfchen, in dem
ich besonders schöne Worte, die an einem bestimmten Tag nicht zum Zug kamen,
sammelte (z.B. "Links- und Rechtsschnabler").
Am Anfang war ich voller Elan, und in den ersten zwei Wochen
habe ich fast jeden Tag, an dem eine Wissen-Seite erschien, ein Gedicht
gemacht.
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20. Dezember 2014 |
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16. Dezember 2014 |
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5. Dezember 2014 |
Dann kamen die Weihnachtstage und der Urlaub, danach war ich schon
hintendran, die Seiten stapelten sich, und ich fand die meisten Ergebnisse auch
nicht gerade überzeugend. Sozusagen von zweifelhaftem literarischen Wert. Zuviel
experimentell, zuviele thematische Brüche, weil die Überschriften eben keine
besonders guten Zusammenhänge hergaben.
In den letzten Tagen kam nun, eben auch durch den verlorenen
Koffer, und durch meine Beschäftigung mit den Asylanten, immer wieder das Thema
auf, dass man manches loslassen muss. Und heute früh habe ich dieses Projekt
beendet und losgelassen. Das Buch wurde aufgelöst (es sind noch zeimlich viele
Seiten drin, die einer anderen Bestimmung zugefährt werden können), die über
mehrere Wochen angesammelten Zeitungs-Seiten und die restlichen
Zeitungsschnipsel entsorgt. Gedichte müssen anders entstehen. Eine Ecke meines
Arbeitstisches wird nun nicht mehr durch dieses Buch blockiert. Und das
schlechte Gewissen, dass ich dem Projekt nicht genug Zeit widme, um es
erfolgreich zu gestalten, ist auch weg.