Die Lernsteilkurve über politisches Asyl und damit verbundene Schwierigkeiten, die ich zur Zeit hinlege, ist in den letzten Wochen nicht
abgeflacht.
Einer der Syrer hatte seine Duldung abgenommen bekommen, ohne
je seinen Abschiebebescheid, oder besser gesagt, seine
‚Rückführungsbenachrichtigung’ (nach Ungarn) bekommen zu haben. Der
eingeschaltete Rechtsanwalt hat dann festgestellt, dass der Bescheid bereits im
Januar an die Adresse der Erstaufnahmeeinrichtung gegangen, aber nicht an das
Bundesamt für Migration zurück oder gar an den wahren Adressaten
weitergeschickt worden war. Trotz der Tatsache, dass er nicht mit seiner
Unterschrift den Empfang bestätigt hatte, wurde alles aber als ‚zugestellt’
gewertet. Dasselbe haben wir in einem weiteren Fall festgestellt, allerdings
handelte es sich da noch nicht um den Abschiebebescheid, sondern ‚nur’ um
Poststücke, die Informationen über den bereits in Deutschland lebenden Bruder
einforderten. Auch dieses Schriftstück wurde nicht zugestellt, nicht
weitergeleitet, aber die Nicht-Beantwortung von seiten des Antragstellers als negativ für den Antrag
gewertet. Auch hier haben wir einen Anwalt eingeschaltet.
Anschließend habe ich mich hingesetzt und den Fall brieflich an
den Landrat, mehrere Landtagsabgeordnete, Bundestagsabegeordnete und
Flüchtlingsorganisationen gemeldet. Immerhin kamen daraufhin ein paar
Reaktionen, allerdings unterschiedlich in ihrer Tendenz. Der zuständige
Sachbearbeiter des Landrats sieht keine Verantwortung des Landkreises, weil es sich um eine Erstaufnahmeeinrichtung in einem anderen Landkreis handelt – hat
aber zugegeben, dass in der Notaufnahme hier im Landkreis ebenfalls Probleme
mit der Postzustellung bestehen. Eine Notwendigkeit, damit an die
Öffentlichkeit zu gehen, sieht er nicht.
Zwei Anrufe von Büros der Landtagsabgeordneten zweier
Parteien scheinen anzuzeigen, dass die wenigstens nachfragen wollen, was denn
da los ist – den Asylbewerbern würden so viele offizielle Pflichten auferlegt,
da dürfe es doch nicht passieren, dass auf ‚unserer Seite’ die Postzustellung
nicht funktioniert. Einer der Anrufer hat sich dann an den Rechtsanwalt
gewendet, der wiederum korrekterweise keine Auskünfte über den Fall geben kann,
ohne dass ihm eine Schweigepflichtentbindungserklärung des Mandanten vorliegt. Ich fand mich nun
also in der Situation, einem jungen Mann, der zwar für die 6 Monate, die er
sich in Deutschland aufhält, schon ziemlich gut Deutsch spricht, aber
vermutlich aus seinem Land nicht unbedingt das Prinzip der Schweigepflicht
kennt, erstmal das Prinzip der anwaltlichen Schweigepflicht zu erklären, und
ihn dann zu bitten seinen Anwalt von gerade eben dieser Schweigepflicht zu
entbinden...
Erst am Tag vorher hatten wir über die Zahl der Buchstaben
in deutschen Substantivverbindungen geredet– sein Beispiel:
Vorstellungsgespräch hat 20 Buchstaben! geht das? ich: das geht noch länger,
z.B. Vorstellungsgesprächstermin, oder sogar
Vorstellungsgesprächsterminverschiebung. Da konnte die
Schweigepflichtentbindungserklärung immerhin auf diesem Gebiet schwer punkten.
Das ist wirklich nur ein kleiner Ausschnitt der Dinge, die
ich in den letzten Wochen auf diesem Gebiet beackert habe. Andere
Rechtsanwaltsgespräche. Seit Wochen versuchen wir, vom Landratsamt eine Aussage
darüber zu bekommen, ob eine kostspielige Zahnbehandlung bei einem Kleinkind,
dessen Zähne völlig kaputt sind, übernommen wird oder nicht. (Jetzt scheint aber vielleicht doch noch Bewegung in die Sache zu kommen. Zusätzliche Gutachten müssen eingeholt werden...) Drei Afrikaner,
die allesamt entweder einen Arbeits- oder Ausbildungsvertrag bei örtlichen
Firmen bekommen haben, und alle bereits sehr gut Deutsch sprechen, erhalten vom
Landratsamt keine Arbeitserlaubnis, weil sie keinen Pass vorlegen können, die
Botschaft ihres Landes stellt ihnen aber keinen Pass aus, weil sie keine
Geburtsurkunde vorlegen können. ...
Und man hat den Eindruck, die ganze Sache ist eher zum Mäuse
melken, als dass man mit einem normal funktionierenden Menschenverstand da noch
durchkommt. Wenn unter den Asylbewerbern nicht so feine Menschen wären, die
kennengelernt zu haben eine echte Bereicherung ist, könnte man wirklich Frust
schieben. Da ist eine Tretbootfahrt am See eine echte Ablenkung, Abkühlung und Erdbeeren inbegriffen.
Leider ist die auch schon wieder zwei Wochen her, nach der Fahrt zum Anwalt.
Danke für den Beitrag. Ich merke, dass sich leider in den letzten 20 Jahren in gewissen Dingen nichts geändert hat. Weiter so, Don Quichotte!
AntwortenLöschenSonja
'nichts geändert' ist, glaube ich, eine sehr beschönigende Bezeichnungsweise. Zwar war ich vor 20 Jahren auf diesem Gebiet noch nicht aktiv, habe allerdings den Eindruck die Abschottungsbestrebungen sind noch wesentlich stärker ausgeprägt, die Mechanismen so perfide... Aber wenn ein Frosch in die Milch springt und lange genug paddelt, muss irgendwann mal Butter bei rauskommen!
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