In der vergangenen Woche veröffentlichte das Magazin der Süddeutschen Zeitung einen Artikel über Ai WeiWei heute - Gastprofessor in
Berlin, vielreisenden Aktionskünstler und von den Deutschen desillusionierter
ehemaliger Lieblingschinese der Deutschen, um den der Hype, der während seiner
Inhaftierung in China hier in Deutschland um ihn tobte, deutlich abgeflacht
ist.
Titelbild Süddeutsche Magazin, 19,August 2016 |
Der Artikel hat mir einiges zu denken gegeben. Ich liebe die
Arbeiten von Ai, die ich bisher gesehen habe. Allerdings bin ich tatsächlich
der Meinung, dass es sich bei den meisten Werken eher um Politik-Aktionen als
um „große Kunst“ handelt. Nun ist es heute, glaube ich, besonders schwierig,
noch „große Kunst“ zu machen. Zumal die, wenn sie denn entstehen sollte,
ohnehin meistens erst nach einiger Zeit als solche erkannt werden dürfte.
Stichwort Vincent van Gogh, der in seinem Leben nur ein einziges Bild verkaufte
– oder war es gar keines, was auch immer die Legende berichtet? Der Tenor in
diesem Artikel klang so, als wäre es gerechtfertigt, die Art und Weise, in der
Ai WeiWei produziert, thematisiert und provoziert, nun, da er nicht mehr in
China bedroht, gegängelt und eingesperrt wird, wesentlich kritischer zu
beurteilen als vorher. So ungefähr nach dem Motto „Jetzt hat er hier ein gutes
Auskommen, soll er doch endlich Ruhe geben und richtige Kunst machen.“ Kritisch
wurde auch angemerkt, dass Ai sich selbst als ‚Flüchtling’ bezeichnet und
daraus eine emotionale Rechtfertigung ableitet, das Flüchtlingsthema zu
bearbeiten. Zum Beispiel durch seine Teilnahme an der Aktion der Nachstellung des Fotos des ertrunkenen syrischen Flüchtlingskindes auf Lesbos.
Man kann natürlich darüber streiten, ob es geschmackvoll war, dieses
Foto, das die Welt medial so aufgewühlt hat, nachzustellen. Andererseits war ja
schon das ‚Originalfoto’
(das Foto und weitere findet man hier) nicht unumstritten, wie in diesem Bericht nachzulesen.
(Hier finden Sie noch zahlreiche weitere Reaktionen auf das
Foto von anderen Künstlern als Ai. )
Aber ist es weniger geschmackvoll, mit einer solchen
Nachstellaktion auf erhebliche politische Missstände hinzuweisen und deren
Behebung anzumahne, als einen Schädelabguss mit Diamanten zu besetzen, wie
Damien Hirst das mit seiner Skulptur „For the Love of God“ getan hat?
Und was hat der mediale Sturm im Netz denn letztendlich
erreicht? Es war eben nur wieder mal ein Sturm im „Digitalglas“, stellte sich
als nicht gerade wirkungsvoll im Sinne der Flüchtlinge heraus, sondern eher in
anderer Richtung: kurz nach der ganzen Sache ging die Verschärfung des
Asylrechts in Deutschland durch das Parlament, die Grenzkontrollen wurden
verschärft.
Ich finde es zwar mutig, dass Ai eine Ausstellung in Dänemark vorzeitig beendet hat, als dort die Verschärfung des Asylgesetzes verabschiedet
wurde. Andererseits ist nicht einzusehen, dass ankommende
Flüchtlinge, die Wertgegenstände bei sich führen, nicht mit diesen Werten für
ihren Lebensunterhalt in dem Land, in dem sie ankommen, aufkommen sollen.
Vielleicht ist es nicht richtig, sie ihnen abzunehmen – allerdings sollten in
solchen Fällen keine staatlichen Unterstützungen geleistet werden. Die ganzen Geschichten sind eben extrem komplex und schwierig.
Und natürlich ist Ai eine Art Flüchtling, denn er hat sein Land nicht gerade freiwillig verlassen. Wenn er auch ein Flüchtling ist, es materiell sehr gut geht. Nicht jeder Flüchtling vor Unrecht und Verfolgung
muss unbedingt mit einem Schlauchboot über das Mittelmeer nach Europa kommen. Selbstverständlich kann Ai sich als Flüchtling bezeichnen. Und natürlich hat er das
gute Recht, sich auch kritisch mit dem Land auseinanderzusetzen, in dem er
jetzt lebt. Bloß weil die Deutschen
nicht gerne den Spiegel vorgehalten bekommen, sollte man diejenigen, die den
Mut haben, das zu tun, nicht abschätzig verurteilen.
Wir brauchen
Menschen wie Ai, die ihren Mund aufmachen und Missstände anprangern. Und es
darf nicht angehen, dass wir solche Menschen nur lieben, wenn sie die
Missstände in anderen weitentfernten Weltregionen kritisieren und auch gerade dort dafür leiden müssen. Die Probleme, die die
Flüchtlingsströme im vergangenen Jahr nach Europa brachten, sind ja nicht
gelöst, selbst wenn wir im Moment wegen der geschlossenen Grenzen direkt bei
uns etwas weniger davon spüren.
Wie oft und wie lange wollen wir denn noch solche Bilder
gezeigt bekommen wie dieses, das letzte Woche gezeigt wurde?
(Weitere, nicht weniger unerfreuliche, sieht man hier. )
Da ist es richtig, dass Künstler/Aktivisten/Provokateure wie
Ai weiterbohren, weiter mit dem Finger in der Wunde bohren, weiter lästig
fallen.
Was tut denn ein jeder von uns dafür, um diese Missstände
abzubauen? Wenn wir alle etwas täten, müssten sich nicht Leute wie Ai WeiWei darum kümmern.
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