Freitag, 26. August 2016

Kunst und Politik

In der vergangenen Woche veröffentlichte das Magazin der Süddeutschen Zeitung einen Artikel über Ai WeiWei heute - Gastprofessor in Berlin, vielreisenden Aktionskünstler und von den Deutschen desillusionierter ehemaliger Lieblingschinese der Deutschen, um den der Hype, der während seiner Inhaftierung in China hier in Deutschland um ihn tobte, deutlich abgeflacht ist.

Titelbild Süddeutsche Magazin, 19,August 2016

Der Artikel hat mir einiges zu denken gegeben. Ich liebe die Arbeiten von Ai, die ich bisher gesehen habe. Allerdings bin ich tatsächlich der Meinung, dass es sich bei den meisten Werken eher um Politik-Aktionen als um „große Kunst“ handelt. Nun ist es heute, glaube ich, besonders schwierig, noch „große Kunst“ zu machen. Zumal die, wenn sie denn entstehen sollte, ohnehin meistens erst nach einiger Zeit als solche erkannt werden dürfte. Stichwort Vincent van Gogh, der in seinem Leben nur ein einziges Bild verkaufte – oder war es gar keines, was auch immer die Legende berichtet? Der Tenor in diesem Artikel klang so, als wäre es gerechtfertigt, die Art und Weise, in der Ai WeiWei produziert, thematisiert und provoziert, nun, da er nicht mehr in China bedroht, gegängelt und eingesperrt wird, wesentlich kritischer zu beurteilen als vorher. So ungefähr nach dem Motto „Jetzt hat er hier ein gutes Auskommen, soll er doch endlich Ruhe geben und richtige Kunst machen.“ Kritisch wurde auch angemerkt, dass Ai sich selbst als ‚Flüchtling’ bezeichnet und daraus eine emotionale Rechtfertigung ableitet, das Flüchtlingsthema zu bearbeiten. Zum Beispiel durch seine Teilnahme an der Aktion der Nachstellung des Fotos des ertrunkenen syrischen Flüchtlingskindes auf Lesbos.  
Man kann natürlich darüber streiten, ob es geschmackvoll war, dieses Foto, das die Welt medial so aufgewühlt hat, nachzustellen. Andererseits war ja schon das ‚Originalfoto’
(das Foto und weitere findet man hier) nicht unumstritten, wie in diesem Bericht nachzulesen
(Hier finden Sie noch zahlreiche weitere Reaktionen auf das Foto von anderen Künstlern als Ai. )
Aber ist es weniger geschmackvoll, mit einer solchen Nachstellaktion auf erhebliche politische Missstände hinzuweisen und deren Behebung anzumahne, als einen Schädelabguss mit Diamanten zu besetzen, wie Damien Hirst das mit seiner Skulptur „For the Love of God“ getan hat?
Und was hat der mediale Sturm im Netz denn letztendlich erreicht? Es war eben nur wieder mal ein Sturm im „Digitalglas“, stellte sich als nicht gerade wirkungsvoll im Sinne der Flüchtlinge heraus, sondern eher in anderer Richtung: kurz nach der ganzen Sache ging die Verschärfung des Asylrechts in Deutschland durch das Parlament, die Grenzkontrollen wurden verschärft.
Ich finde es zwar mutig, dass Ai eine Ausstellung in Dänemark vorzeitig beendet hat, als dort die Verschärfung des Asylgesetzes verabschiedet wurde. Andererseits ist nicht einzusehen, dass ankommende Flüchtlinge, die Wertgegenstände bei sich führen, nicht mit diesen Werten für ihren Lebensunterhalt in dem Land, in dem sie ankommen, aufkommen sollen. Vielleicht ist es nicht richtig, sie ihnen abzunehmen – allerdings sollten in solchen Fällen keine staatlichen Unterstützungen geleistet werden. Die ganzen Geschichten sind eben extrem komplex und schwierig.
Und natürlich ist Ai eine Art Flüchtling, denn er hat sein Land nicht gerade freiwillig verlassen. Wenn er auch ein Flüchtling ist, es materiell sehr gut geht. Nicht jeder Flüchtling vor Unrecht und Verfolgung muss unbedingt mit einem Schlauchboot über das Mittelmeer nach Europa kommen. Selbstverständlich kann Ai sich als Flüchtling  bezeichnen. Und natürlich hat er das gute Recht, sich auch kritisch mit dem Land auseinanderzusetzen, in dem er jetzt lebt.  Bloß weil die Deutschen nicht gerne den Spiegel vorgehalten bekommen, sollte man diejenigen, die den Mut haben, das zu tun, nicht abschätzig verurteilen. 
Wir brauchen Menschen wie Ai, die ihren Mund aufmachen und Missstände anprangern. Und es darf nicht angehen, dass wir solche Menschen nur lieben, wenn sie die Missstände in anderen weitentfernten Weltregionen kritisieren und auch gerade dort dafür leiden müssen. Die Probleme, die die Flüchtlingsströme im vergangenen Jahr nach Europa brachten, sind ja nicht gelöst, selbst wenn wir im Moment wegen der geschlossenen Grenzen direkt bei uns etwas weniger davon spüren.
Wie oft und wie lange wollen wir denn noch solche Bilder gezeigt bekommen wie dieses, das letzte Woche gezeigt wurde?


(Weitere, nicht weniger unerfreuliche, sieht man hier. )
Da ist es richtig, dass Künstler/Aktivisten/Provokateure wie Ai weiterbohren, weiter mit dem Finger in der Wunde bohren, weiter lästig fallen.
Was tut denn ein jeder von uns dafür, um diese Missstände abzubauen? Wenn wir alle etwas täten, müssten sich nicht Leute wie Ai WeiWei darum kümmern.

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