Freitag, 29. Dezember 2017

Sollten wir das wirklich nicht schaffen?



Erst am zweiten Weihnachtstag habe ich mich hingesetzt und meinen jährlichen englischsprachigen Rundbrief an die Freunde im Ausland geschrieben. In den Jahren zuvor habe ich es wenigstens immer noch rechtzeitig vor dem oder wenigstens direkt am Heiligen Abend geschafft… Beim Schreiben ist mir nochmal ganz deutlich klar geworden, was ich ja eigentlich ganz genau wusste: dieses vergangene Jahr - eigentlich seit dem September 2016 - hat es für mich praktisch nur ein Thema gegeben; Die Ungerechtigkeit der verweigerten Arbeitserlaubnisse für Geduldete aus ‚sicheren Herkunftsländern‘.
Ich weiß noch genau, wie ich mich zu Anfang meines Engagements für Flüchtlinge, als es darum ging, Hauspatenschaften für die verschiedenen Unterkünfte bei uns in der Stadt zu übernehmen, ganz bewusst gegen die Hauspatenschaft für das Haus mit den Afrikanern entschieden habe, weil ich mir damals dachte, die haben eh keine Chance, dass etwas klappt, das tue ich mir nicht an. Damals waren Syrer, die über ein anderes europäisches Land eingereist waren, wegen der Dublin-Regelungen noch von Abschiebungen nach Ungarn und Bulgarien bedroht, bis im September 2015 der große Marsch ankam und für Syrer auf einmal keine Dublin-III-Regelung mehr galt. Da gab es auch genug zu tun.  Wie es dann weiterging, will ich hier nicht mehr in allen Einzelheiten darstellen, zwischenzeitlich hatte sich mein Engagement (außerhalb der Schule) weitgehend auf die Senegalesen konzentriert, das wird sich jetzt wieder etwas ändern - aber es ist im vergangenen Jahr auf jeden Fall für mich das alles beherrschende Thema geblieben. Zum Leidwesen und Missvergnügen meines Mannes, der der Meinung ist, dass ich mich auch mal um andere Belange kümmern sollte, weil ich alleine die Politik der hiesigen Staatsregierung nicht ändern könne, und wir seien doch immerhin noch ein Rechtsstaat. 

Das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit dieses "Freistaates" habe ich längst verloren, und „Rechtsstaatlichkeit“ scheint mir kein ausreichendes Kriterium für ein richtiges Handeln, das für mich in erster Linie an Menschlichkeit, Gerechtigkeit und sinnvollem Handeln in praktikablem Rahmen ausgerichtet sein sollte.
Gestern also nochmal die Bewusstwerdung darüber, wie sehr ich mich in dieses Thema eingebracht habe - und ich brauche mir nichts vorzumachen, das wird sich in nächster Zeit nicht sonderlich ändern. Auch wenn die Schwerpunktlage vielleicht ein bisschen verschoben wird.
Aber ich frage mich, warum dieses Thema der Flüchtlingsfrage in Deutschland tatsächlich so groß ist. Für mich persönlich frage ich mich nicht, ich habe wunderbare Menschen kennengelernt, und denen zu helfen, sich im ‚Rechtsstaat‘ zurechtzufinden und ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen ist keine Frage. Aber ich halte die Flüchtlingsfrage tatsächlich für eines der kleinsten Probleme, die Deutschland zur Zeit hat. Allerdings wird es medial und politisch so dermaßen aufgebauscht, dass eine völlige Verzerrung stattfindet. Die Kämpfe um Obergrenze und Familiennachzug wiederum sind dann nur kleinere Teilbereiche innerhalb des ganzen Themenkomplexes - aber so wie die bayerische Staatspartei sich aufführt, sollte man meinen, die Welt gehe unter, wenn sie nicht ihre Positionen durchfechten kann.
Vor paar Tagen fand ich im Netz diesen Artikel über dieÜberhandnahme der deutschen Unzufriedenheit - es geht uns wirtschaftlich so gut wie nie, und doch sind wir so verunsichert, unzufrieden und ständig wird dieses Streben nach Abschottung stärker. Wie kann das sein?

Hier fordern die Kommunen, dassFlüchtlinge schneller in Arbeitsverhältnisse gebracht werden. Ich nehme an, hier wird vor allem auf anerkannte Flüchtlinge Bezug genommen, und ich sehe das genauso. Einige der schnell und auf 3 Jahre anerkannten Syrer machen hier bei uns in der Stadt auf Hartz IV einfach (relativ gemütlich) Urlaub oder sind der Meinung, unter einer Arbeitsstelle als Chefinformatiker bei BMW ist jede Arbeit für sie eine Zumutung. Und Deutsch lernen ist unbequem.

Andererseits hört man dann Radiosendungen wie diese (alsPodcast verfügbar ) , wo man sich dann fragt, nach welchen rassistischen Motiven und Eigeninteressen die EU eigentlich verfährt. Globalisierte Wirtschaft, ja, aber globale Migrationsbewegungen nein. Afrikanische Staaten, die innerhalb des Kontinents darum bemüht sind, Freizügigkeit für die Bürger zu etablieren, werden mit der Geldknute gezwungen, verschärfte Grenz- und Sicherheitssysteme aufzuziehen, die die Flüchtlinge innerhalb Afrikas auf dem Weg nach Norden aufhalten sollen. Diese Grenzzäune wiederum werden von europäischen Firmen geliefert, die sich daran eine goldene Nase verdienen. Die Flüchtlings’krise‘ also als großes Wirtschaftsankurbelungsprogramm für europäische Firmen…?
Ist das tatsächlich die Staatengemeinschaft, die vor einigen Jahren den Friedensnobelpreis gewonnen hat für ihr Eintreten in der Flüchtlingsfrage? Aber der Nobelpreis wird ja auch von einer europäischen Instanz verliehen. Wir haben schon eine besondere Sichtweise auf die und Umgehensweise mit der Welt.

Man kann nur sagen - wie verbohrt sind wir eigentlich? Und warum sollte es eigentlich nicht zu schaffen sein, ein paar afrikanische und syrische Flüchtlinge zu integrieren, wenn sie das wollen? Wer arbeiten will, soll arbeiten dürfen. Damit ist Afrika mehr geholfen, als wenn die europäischen Grenzen weiter nach außen verlagert werden. Denn was für ein Quatsch es ist, wenn deutsche Grenzen am Hindukusch verteidigt werden, haben wir ja schon einmal demonstriert bekommen. Dadurch werden nämlich neue Flüchtlingsströme ausgelöst…

Das Thema des vergangenen Jahres wird mich also nicht verlassen. Wenn ich es auch nicht zum Hauptthema dieses Blogs machen will - es wird sicher immer wieder mal auftauchen. Und es drängt weiter in meine Quilts. Gerade bin ich dabei, den Quilt fertigzustellen, den ich bei der Triennale einreichen will.  Er gehört zur Serie text messages. Hier nur ein ganz kleines Detail:


Und er ist bestimmt nicht der letzte, der dieses Thema aufgreift.

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