In der Textil- und Kreativ-Welt gibt es ja eine starke
Bewegung, die das sogenannte ‚slow stitch‘ favorisiert. Langsames, von Hand
arbeiten, einerseits mit vielen Stickstichen auf Quilts, andererseits das
bewusste Arbeiten von Hand. Das ‚English Paper Piecing‘ erlebt eine
Renaissance, ‚visible mending‘ ist ein stark frequentierter Hashtag auf Instagram
und zahlreiche Künstlerinnen fertigen wundervolle Arbeiten mit intensivster
Handarbeit, eine meiner Favoritinnen ist hier Judy Martin, deren Blog und Homepage
mir immer wieder Anregung und Inspiration ist, und auch ihre Posts auf
Instagram unter judithemartin sind eine regelmäßige Freude.
Die beruhigend-therapeutische Wirkung von direkter Handarbeit
ist auch für mich ein wichtiges Element und sicher einer der Gründe, warum ich
gerne spinne und wieder vermehrt stricke, warum auch ich wieder zu
Resteprojekten in Paper Piecing Technik gekommen bin, und warum ich
ursprünglich sehr gerne von Hand gequiltet habe. Mit Nadel und Faden zu
arbeiten, auch ohne Maschinengeräusch hat etwas, das eine von den Wirren der Weltläufte
ausklinkt, einen Bodenhaftung herstellenden Sog entwickelt und manchmal auch
manches vergessen lässt.
Heute, am Tag der Wahl in Bayern habe ich eine ganze Zeit
lang nur auf der Terrasse gesessen und weiter an meinem Flüchtlingsquilt gearbeitet,
der jetzt am Schluss auch noch einige Stiche von Hand verlangt.
text messages 19 - Detail |
Eigentlich
wollte ich ihn an diesem Wochenende fertig bekommen. Das hat noch nicht
geklappt. Denn letzte Woche hat meine Arbeit daran einen empfindlichen
Rückschlag erlitten. Ich wollte mit dem Heftfuß meiner kleinen, alten Bernina
einen besonderen Effekt hinzufügen, diesen Fuß habe ich für die neue große
Maschine nicht. (Soweit ich gesehen habe, gibt es ihn nicht mal als Zubehör,
das noch gekauft werden könnte.) Also ging ich in den Flur, in dem die Maschine
zwischen Workshops, zu denen sie in der Regel mitgenommen wird, steht. Da war
sie nicht. Im anderen Flur, wo sie auch schon mal eine Weile stand, war sie
auch nicht. Nicht in meinem Arbeitszimmer. Nicht unter dem Flügel (Vorschlag
meines Mannes), nicht im Keller, nicht in der kleinen Nebenwohnung im Haus, in
der manchmal ‚Lagergegenstände‘ landen. Dreimal bin ich mindestens mit
wachsender Panik durchs Haus gegangen, keine Nähmaschine. Ich konnte mich nicht
erinnern, sie weggegeben zu haben, oder gar verliehen. Da von einer Seite aus
manchmal Publikumsverkehr im Haus ist, hatte ich einen bösen Verdacht, dass sie
vielleicht entwendet worden sein könnte, denn ein wunderschöner großer
Wäschekorb ist auf die Art schon mal verschwunden und nie wieder aufgetaucht.
Alles dies natürlich spät abends – ich musste bis zum
nächsten Tag warten, um beim Nähmaschinenhändler anzurufen, ob sie vielleicht
bei ihm stünde, aber wie gesagt: ich hatte keinerlei Erinnerung daran, sie
abgegeben zu haben… Dort fand sie sich dann tatsächlich an, ich muss sie wohl
abgegeben haben, als ich die Nähmaschine für Afrika abholte - aber nun ich
mache mir Sorgen über mein Erinnerungsvermögen, wenn ich nicht mal mehr weiß,
wo meine Nähmaschine ist. Sie war jedenfalls nocht nicht repariert, weil ich
wohl gesagt hatte, es eile nicht, und so konnte ich sie nicht einmal Freitag
nachmittag kurz vor Ladenschluss noch abholen. Ob sie gleich am Wochenanfang durchgesehen
wird, konnte mir niemand sagen, und jetzt heißt es entweder warten, oder auf
diesen Effekt verzichten.
Jedenfalls saß ich auf der Terrasse in
der ehemalige Sandkasten |
und mit einer
besonderen Sonne,
teilweise eigene Äpfel vom neuen, kleinen Apfelbaum |
stichelte geruhsam vor mich hin und wartete auf das Ende des
Tages und die ersten Hochrechnungen nach der Wahl. Das Geblubber der Politiker,
die jetzt alle die totale Analyse suchen und versprechen und die gräßlichen
Journalistenfragen, die schon jetzt Aussagen über Konsequenzen aus den
Interviewpartnern herausdrücken wollen, erspare ich mir allerdings. Ich bin nur
froh, dass dieser Tag, so schön er wetter- und arbeitsmäßig an sich auch war,
erst einmal vorbei ist. Das Ergebnis ist nicht ganz so schlimm, wie ich es befürchtet
hatte, aber schlimm genug, und es bleibt abzuwarten, wie sich die
Koalitionsverhandlungen gestalten werden. Da kann man einfach nur weiter
sticheln, Tee trinken und hoffen, dass sich doch irgendetwas vielleicht sogar zum Besseren ändern wird.
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