Ich stricke seit über 40 Jahren. Ich habe viel gestrickt,
und auch viele Stücke selbst ausgerechnet und fertiggestellt – designt, so
nennt man das wohl heute. Eine Maschenprobe aus der Wolle, die ich mir
ausgesucht hatte, Maß genommen, und los ging’s. Nie wäre ich auf die Idee
gekommen, aufzuschreiben, was ich da mache, und die Muster vielleicht als
Anleitungen zu verkaufen. Vielleicht wäre das auch eine mögliche Berufswahl
gewesen? Nun, eine weitere verpasste Chance. Selten habe ich auch nach
Anleitung gestrickt – bestenfalls als Anregung genommen und dann mehr oder
weniger frei improvisiert.
Jedenfalls halte ich mich für eine ziemlich erfahrene
Strickerin, die vor wenig zurückschreckt. Dazu gehören auch selbstgesponnen und
–ausgezählte Pullover im Aran-Stil.
Einmal habe ich für einen Studenten der Klarinette, den ich
sehr gern mochte, einen Pullover mit dem Anfang des Mozart Klarinettenkonzertes
gestrickt.
Letztes Jahr allerdings bin ich, als ich eine kostenlose
Anleitung aus dem Internet runtergeladen hatte, an meine Grenzen gestoßen. Es
sollte ein Schal im Zickzackmuster werden,
aber die Beschreibung des
Grundmusters war so leserunfreundlich, dass ich sie mir sogar für die
Musterteile umgeschrieben habe.
Und nach viel Fluchen und immer wieder neuem
Zweifeln
habe ich schließlich aufgegeben und nach der Hälfte abgekettet. Ich
nehme an, dass es sich um die deutsche Übersetzung einer englischen Anleitung
handelte, denn sie war so anders geschrieben als deutsche Strickanleitungen,
die ich früher gesehen habe.
Nach diesem Erlebnis habe ich mir geschworen, von dieser
Verfasserin keine weiteren Anleitungen mehr nachzustricken, obwohl ich noch ein
weiteres Muster runtergeladen hatte – und vor allem würde ich keines der optisch
interessant erscheinenden aber kostenpflichtigen Muster kaufen, die sie anbietet.
Kurz darauf fand ich in einem alten Strickmusterbuch
von ca. 1938 dann aber genau die Anleitung für das zugrundeliegende Muster (Zickzackpatent
hieß es da) –
und hier waren genau die zwei Zeilen enthalten, die das
Nachstricken des Musters einfach und übersichtlich machten: die Angabe, ob bei
dem Wechsel von einem Grundmuster zum nächsten die Vorderseite der Arbeit vorne
liegen muss, oder die Rückseite. Nun könnte ich den Schal vielleicht noch
stricken, aber erst waren mir andere Dinge wichtiger.
Für den Urlaub habe ich mir dieses Mal auch ein Strickzeug
mitgenommen. Keine Nähmaschine, weil mein Mann ob all der Spielzeuge, die mein
Sohn und ich einpacken wollten, schier die Panik bekam und meinte, am Ende
müsse er zu Hause bleiben, damit Frau und Sohn alle ihre Wünsche erfüllt
bekämen. (Ich kenne das Stauvermögen unseres Autos dank meiner Fahrten mit
Stoffkisten besser als mein Mann, aber da er sich partout nicht überzeugen ließ,
dass wirklich sehr viel in dieses Auto hineingeht, und ich sowieso nicht
ernsthaft vorhatte, eine Nähmaschine mitzunehmen, habe ich großzügig darauf
verzichtet.)
Stattdessen also ein Strickzeug, und dieses Projekt könnte
eine neue Herausforderung werden. Es handelt sich um eine Jacke aus diesem
Buch, auf das mich meine Freundin Regine aufmerksam gemacht hatte:
Los ging es damit, dass ich mir – schon vor der Abfahrt in
den Urlaub - wirklich mehrere Abende Zeit genommen hatte, um immer mal wieder
die Anleitungen zu lesen und so allmählich das zugrundeliegende Prinzip zu
verstehen.
Maschenproben habe ich auch zwei unterschiedliche gestrickt
– das habe ich eigentlich noch nie getan, denn ich kann abschätzen, welche
Wolle ich mit welcher Nadelstärke stricken muss! Aber weil ich ziemlich dünne
Wolle gewählt habe, von der ich eigentlich weiß, dass sie sich am besten mit
3er Nadeln strickt, und vielleicht doch gerne wegen der Schnelligkeit mit 3,5er
Nadeln gestrickt hätte, habe ich es zumindest mal probiert... aber es nützt
nichts, es bleibt bei Nr. 3, die erste Probe war einfach zu labberig.
Dann habe ich erstmal heftig gerechnet, um entsprechend der
Maschenprobe auf die anzuschlagende Maschenzahl zu kommen, denn alle
Anleitungen für die Modelle im Buch basieren auf mindestens 4er oder sogar 5er
Nadeln. (Warum ich da nicht noch die Reißleine gezogen und eine andere Wolle
gewählt habe, weiß ich nicht, denn ich hätte sogar eine passende zu Hause
gehabt!) Ich musste 897 Maschen anschlagen.
Dafür kamen mir dann die Markierer recht, die ich vor kurzem
geschenkt bekommen hatte. Zwar hatte ich auch Sicherheitsnadeln einpacken
wollen, die blieben aber dummerweise zu Hause liegen.
Ich habe also mit einer
gesunden Skepsis gegenüber der Tauglichkeit dieser Markierer angefangen anzuschlagen.
Damit war ich eine Weile beschäftigt, aber in diesem Stadium
haben die Markierer sich noch bewährt. Allerdings habe ich in weiser
Voraussicht nach jeweils 112 Maschen – die magische Zahl, nach der nach ein
paar Reihen die erste Abnahme erfolgen sollte – ein Stückchen Garn eingezogen.
Das war auch sehr sinnvoll, denn so leicht, wie die Markierer sich einschieben
lassen, so leicht rutschen sie auch wieder raus. Ohne meine Zottelchen in der
Anschlagsreihe hätte ich schon mehrmals nachzählen müssen.

Und inzwischen
arbeite ich wieder ohne die Markierer. In Ermangelung der Sicherheitsnadeln
habe ich dann zu andersfarbigem Garn gegriffen, das ich auch noch dabei hatte,
und die daraus hergestellten Wimpel werden bei jedem Abnehmen um ein paar
Reihen versetzt. Das war vor allem psychologisch sehr sinnvoll. Vorher hatte
ich den Eindruck, dass diese Reihen einfach nur endlos vor sich hindüdeln, und
die gleichfarbigen Wedelchen am Unterrand der Arbeit huschten eher unbemerkt
vorbei. Die nun nicht mal mehr 100 Maschen zwischen den einzelnen gelben
Wedelchen sind aber schnell weggestrickt, und man hat ständig das Gefühl, schon
wieder einen gelben Straßenposten passiert zu haben.

Jetzt heißt es erstmal etliche Runden stricken. Jede vierte
bzw. fünfte Reihe werden pro Runde insgesamt 16 Maschen abgenommen. Ich glaube auch
schon zu merken, dass die Reihen etwas kürzer werden. Oder ist das nur
Selbstmotivation? Bis jetzt läuft alles gut. Der komplizierte Teil kommt erst,
wenn es an die Ärmel geht. Und sich dann auch rausstellt, ob ich die Maschen-
und Reihenzahl richtig berechnet hatte...