Freitag, 7. Oktober 2011

Was ist ein "art-quilt"? - Beitrag zum Diskussionsforum der Patchworkgilde e.V.

Seit August gibt es im Mitgliederbereich der Homepage der Patchworkgilde Deutschland e.V. ein Diskussionsforum über das Thema "Was ist ein Art-Quilt?" Vom Vorstand der Patchworkgilde war ich gebeten worden, ebenfalls einen Beitrag zur Diskussion zu verfassen. Dieser Beitrag ist seit zwei Tagen online gestellt, und ich möchte ihn auch Leserinnen meines Blogs, die vielleicht keine Mitglieder der Patchworkgilde sind, zur Verfügung stellen. Eine Diskussion soll eigentlich im Diskussionsforum der Gilde stattfinden, aber ich freue mich natürlich auch über Kommentare hier. 


Text des Beitrages:

In jeder Ausschreibung von SAQA, der Organisation, die sich der Profilierung insbesondere des Art-Quilts verschrieben hat, wird deren ‚Definition’ eines solchen zitiert (hier in Übersetzung): „ein zeitgenössisches Kunstwerk, das die ästhetischen Belange, die der gesamten Bandbreite der bildenden Künste (Malerei, Fotografie, Druck, grafisches Design, Zusammenstellungen, Skulptur) zugrundeliegen, auslotet und ausdrückt und dabei durch Material oder Technik einen eindeutigen Bezug zur ihm zugrundeliegenden Volkskunst Quilt herstellt oder bewahrt“. Im Katalog der letzten European Art Quilts Ausstellung, die noch tourt, und auch in der neuerlichen Ausschreibung für die nächste Runde ist dagegen keine einheitliche Definition von ‚Art-Quilt’ zu finden.
Kunst ist umstritten. Vielen Kunstwerken wird immer wieder – vorzugsweise von selbsternannten Kunst’kritikern’ – ihr Status als Kunstwerk abgesprochen. Und Kunst muss nicht ‚schön’ sein – oder würde jemand „Guernica“ von Picasso als ‚schön’ bezeichnen?
Die Quiltkunst, die aufgrund ihrer geschichtlichen Entwicklung aus dem funktionalen Bereich heraus (wärmen, Reste sinnvoll u. evtl. auch ästhetisch ansprechend verwenden) vielleicht einen besonders schweren Stand in der Kunstwelt hat, bleibt von diesen Diskussionen nicht verschont. Rein technisch ist Quiltkunst bewältigbar – grundlegende Nähtechniken, ein paar Tricks, eine gewisse Sorgfalt, gepaart mit ein wenig Geduld und Fleiß. Fertig ist der Quilt. Und dennoch gibt es einige Quilts, die besonders sind, eine außergewöhnliche Ausstrahlung haben, sich aus der großen Masse herausheben.
Das können die herausragenden Exemplare aus Amish-Produktion sein (nicht jeder Amish-Quilt hat tatsächlich diese Qualität), oder einige der mittlerweile berühmt gewordenen und in Museen gezeigten Quilts von den Frauen von Gee’s Bend (und nicht jeder von den Gee’s Bend Quilts lässt einem den Atem stocken). Das können Quilts aus Siebdruck-Stoffen sein, oder aus handgefärbten Stoffen, und auch aus kommerziell hergestellten Stoffen. Allerdings ist auffällig, dass viele Quilts, die als ‚Art Quilt’ bezeichnet werden, unter Verwendung einer Vielzahl von modernen Techniken hergestellt wurden/werden.
In den Überlegungen zu Art-Quilts höre ich untergründig eine Art Richtungsstreit mitschwingen, salopp vielleicht formuliert als „welches sind die besseren/echteren/zeitgemäßeren Quilts – traditionelle oder Art-Quilts?“ Diesen Richtungsstreit halte ich persönlich für überflüssig (oder sogar schädlich). Es gibt wunderbare traditionelle Quilts, und es gibt grässliche traditionelle Quilts, genauso wie es wunderbare und hässliche Art-Quilts gibt. (Und wo bleiben die einfach nur ‚modern’ genannten Quilts? In den amerikanischen Foren läuft z.Zt. eine Diskussion darüber, was denn ‚modern quilting’ ausmacht.) Das hängt aber ja auch ganz stark von den Betrachtenden ab – beeinflusst durch deren Sachverstand für Kunst, Sachverstand für Quilts (was sich nicht unbedingt decken muss), vielleicht beide in Kombination, oder einfach nur den persönlichen Geschmack ohne dahinterstehendem Sachverstand.  Meines Erachtens nach definiert sich Kunst nicht dadurch, dass möglichst viele moderne Techniken oder möglichst viele und unterschiedliche Materialien zum Einsatz kommen, bloss weil die durch einfallsreiche (und geschäftsorientierte) Geister zur Verfügung gestellt werden. Für mich ist DAS definierende Kriterium eines Quilts, und das trifft auf traditionelle wie auf moderne oder Art-Quilts zu, die Verbindung von mindestens zwei (eigentlich drei) Lagen durch in einem weiteren Arbeitsgang hinzugefügte Stiche. Und, wenn es sich nicht um einen Wholecloth-Quilt handelt, das Piecing. Für mich persönlich gehört ‚geklebt’ schon nicht mehr dazu... Dies in erster Linie, weil dadurch der haptische Effekt dieses besonderen Mediums verloren geht – den wir in Ausstellungen daran erkennen, das ständig an den Quilts herumgegrabscht wird. (Was bei Gemälden ja wohl kein wirkliches Problem darstellt.) Aber viele Quilterinnen sehen das mit dem Kleben anders, sind einfach dankbar für die Arbeitserleichterung.
Die Unterscheidung zwischen ‚Quilt’ und ‚Art-Quilt’ braucht meines Erachtens nicht definiert zu werden. Ob ein Quilt Kunst ist, entscheidet sich daran, dass er ‚das gewisse Extra’ hat, nicht daran, wie er bezeichnet wird. Weder die Amish-Frauen noch die Frauen von Gee’s Bend haben ihre Quilts als Kunst(werke) betrachtet, und dennoch einige der allerschönsten Exemplare geschaffen. Sowohl die Grenzen zwischen Kunst und Kitsch als auch die zwischen Kunst und Handwerk sind fließend, nicht genau zu bestimmen, und liegen für Produzierende und Rezipierende möglicherweise sehr weit auseinander.

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