Ich bin entsetzt und sprachlos über die Ereignisse in Köln.
Und über das, was seitdem bei uns in den Medien und aus den Politikermündern
tobt.
Wer spricht überhaupt von den Tätern in Köln, die keine Asylbewerber
sind? Wie kommt es, dass Bayern sich so vehement auf die Schultern klopft ob
des angeblich abgewendeten Terroranschlags in München – wer sagt denn, dass das
nicht auch solche Übergriffe in Masse sein sollten, statt des vermuteten Sprengstoffanschlags? Und wer rechnet auf, dass den Bayern das vielleicht auch
nur möglich war, weil sie eben nicht den Mangel an Polizeipersonal haben, der
in den anderen Bundesländern herrscht, nachdem jahrelang Personal abgebaut
wurde, und außerdem viele Polizisten von den Ländern nach Bayern abgestellt
sind, um dort die Einreise von Asylbewerbern zu stemmen? Auch in Bayern gab es
etliche sexuelle Übergriffe ähnlicher Art, berichtete die Süddeutsche Zeitung, wenn auch nicht in dieser Zahl.
Dann aber auch die Perfidie, mit der vorgegangen wurde. Wenn es in der
arabischen Welt so wichtig ist, dass Frauen keinesfalls irgendetwas tun, um
durch einen eventuell falschen Augenkontakt zu irgendeinem männlichen Wesen die
Familienehre zu beschädigen, wie kann es dann sein, dass solche Mobs losziehen
und es drauf anlegen, Frauenehre zu beeinträchtigen – denn wenn es jetzt
eine arabisch-stämmige Frau wäre, die in diesem Fall bedrängt worden wäre, dann
wäre die doch nach Maßstab der gekränkten Familienehre fällig, oder? Was ist das für eine Einstellung den Bewohnern eines Landes gegenüber, von dem man Schutz und eine wohlwollende Behandlung erwartet?
Wie schwierig es ist, hier geltende Vorstellungen auch von
den Verhältnissen der Geschlechter unter- und zueinander zu vermitteln, habe ich selbst
schon im Herbst mitbekommen, als einer der Asylbewerber, die ich hier betreue,
ein von mir vermitteltes Praktikum gemacht hat und dort äußerst unangenehm
aufgefallen ist, weil er sich von den im Betrieb beschäftigten Frauen (und
„sein“ Berufsbereich ist in Deutschland nun mal weitestgehend fest in
Frauenhand) Anweisungen oder auch nur Einweisungen geben zu lassen. Derselbe
ist aber auch einer, der sich eine deutsche Frau wünscht – und obwohl ich
ihm schon mehrfach gesagt habe, dass er sich dafür noch einige andere Meinungen
zulegen müsse, habe ich nicht den Eindruck, dass er da auch nur wenigstens
erste Schritte in Sachen mentale Flexibilität getan hat. Vielleicht lässt er sich da von einer Frau eben auch nicht viel sagen, obwohl ich lange Zeit den Eindruck hatte, dass ich einen guten Draht zu ihm habe und er viel auf das hört, was ich mich ihm zu vermitteln bemüht habe.
Es fällt sehr schwer, jetzt überhaupt noch eine Meinung zu haben,
die der ganzen Bandbreite der Situation auch nur einigermaßen gerecht wird. (Und
ich habe bestimmt schon fünf verschiedene Entwürfe für diesen Post angefangen
und dann wieder verworfen.) Deshalb habe ich beschlossen, dass ich hier auf dem
Blog nichts mehr über die Flüchtlingsproblematik und die für mich daraus
entstehenden Aufgaben – oder Zwangslagen? – schreiben werde. Es ist einfach zu
unübersichtlich, ich kenne mich ja selbst nicht mehr aus!
Ohnehin habe ich ja nach meiner Rückkehr aus Neuseeland sehr
darauf geachtet, mich mehr auf Quilts, Stoffe färben, jetzt die
Longarm-Maschine (und meine Familie) zu konzentrieren und das Ausmaß meines
Engagements zu reduzieren. Das ist mir auch bisher zu meiner Zufriedenheit
gelungen, allerdings hatte ich überhaupt nicht damit gerechnet, dass diese
Ereignisse und dieser öffentliche Meinungssturm so heftig auftreten könnten,
und so die Desillusionierung, die bei mir im Laufe der letzten Monate in Bezug
auf Integrierbarkeit und Machbarkeit eingetreten ist, nochmal wesentlich
verstärken. Ich glaube nach wie vor, dass unser in der Verfassung verankertes
Recht auf politisches Asyl, die Gleichberechtigung der Geschlechter, und die
Meinungs- und Pressefreiheit die wichtigsten demokratischen Errungenschaften
sind, die Deutschland zu bieten hat. Aber was jetzt abgeht, das kann wirklich
Angst machen. Man fragt sich: ist es nun fünf vor oder doch schon fünf nach zwölf?
Passend zu diesem Thema natürlich der hier zu findende Blog-Post, den ich erst danach gesehen habe: http://anders-anziehen.blogspot.de/2016/01/von-sich-selbst-sprechen.html#more
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