Sonntag, 10. Januar 2016

Und jetzt?

Ich bin entsetzt und sprachlos über die Ereignisse in Köln. Und über das, was seitdem bei uns in den Medien und aus den Politikermündern tobt. 
Wer spricht überhaupt von den Tätern in Köln, die keine Asylbewerber sind? Wie kommt es, dass Bayern sich so vehement auf die Schultern klopft ob des angeblich abgewendeten Terroranschlags in München – wer sagt denn, dass das nicht auch solche Übergriffe in Masse sein sollten, statt des vermuteten Sprengstoffanschlags? Und wer rechnet auf, dass den Bayern das vielleicht auch nur möglich war, weil sie eben nicht den Mangel an Polizeipersonal haben, der in den anderen Bundesländern herrscht, nachdem jahrelang Personal abgebaut wurde, und außerdem viele Polizisten von den Ländern nach Bayern abgestellt sind, um dort die Einreise von Asylbewerbern zu stemmen? Auch in Bayern gab es etliche sexuelle Übergriffe ähnlicher Art, berichtete die Süddeutsche Zeitung, wenn auch nicht in dieser Zahl. 
Dann aber auch die Perfidie, mit der vorgegangen wurde. Wenn es in der arabischen Welt so wichtig ist, dass Frauen keinesfalls irgendetwas tun, um durch einen eventuell falschen Augenkontakt zu irgendeinem männlichen Wesen die Familienehre zu beschädigen, wie kann es dann sein, dass solche Mobs losziehen und es drauf anlegen, Frauenehre zu beeinträchtigen – denn wenn es jetzt eine arabisch-stämmige Frau wäre, die in diesem Fall bedrängt worden wäre, dann wäre die doch nach Maßstab der gekränkten Familienehre fällig, oder? Was ist das für eine Einstellung den Bewohnern eines Landes gegenüber, von dem man Schutz und eine wohlwollende Behandlung erwartet? 
Wie schwierig es ist, hier geltende Vorstellungen auch von den Verhältnissen der Geschlechter unter- und zueinander zu vermitteln, habe ich selbst schon im Herbst mitbekommen, als einer der Asylbewerber, die ich hier betreue, ein von mir vermitteltes Praktikum gemacht hat und dort äußerst unangenehm aufgefallen ist, weil er sich von den im Betrieb beschäftigten Frauen (und „sein“ Berufsbereich ist in Deutschland nun mal weitestgehend fest in Frauenhand) Anweisungen oder auch nur Einweisungen geben zu lassen. Derselbe ist aber auch einer, der sich eine deutsche Frau wünscht – und obwohl ich ihm schon mehrfach gesagt habe, dass er sich dafür noch einige andere Meinungen zulegen müsse, habe ich nicht den Eindruck, dass er da auch nur wenigstens erste Schritte in Sachen mentale Flexibilität getan hat. Vielleicht lässt er sich da von einer Frau eben auch nicht viel sagen, obwohl ich lange Zeit den Eindruck hatte, dass ich einen guten Draht zu ihm habe und er viel auf das hört, was ich mich ihm zu vermitteln bemüht habe.
Es fällt sehr schwer, jetzt überhaupt noch eine Meinung zu haben, die der ganzen Bandbreite der Situation auch nur einigermaßen gerecht wird. (Und ich habe bestimmt schon fünf verschiedene Entwürfe für diesen Post angefangen und dann wieder verworfen.) Deshalb habe ich beschlossen, dass ich hier auf dem Blog nichts mehr über die Flüchtlingsproblematik und die für mich daraus entstehenden Aufgaben – oder Zwangslagen? – schreiben werde. Es ist einfach zu unübersichtlich, ich kenne mich ja selbst nicht mehr aus!

Ohnehin habe ich ja nach meiner Rückkehr aus Neuseeland sehr darauf geachtet, mich mehr auf Quilts, Stoffe färben, jetzt die Longarm-Maschine (und meine Familie) zu konzentrieren und das Ausmaß meines Engagements zu reduzieren. Das ist mir auch bisher zu meiner Zufriedenheit gelungen, allerdings hatte ich überhaupt nicht damit gerechnet, dass diese Ereignisse und dieser öffentliche Meinungssturm so heftig auftreten könnten, und so die Desillusionierung, die bei mir im Laufe der letzten Monate in Bezug auf Integrierbarkeit und Machbarkeit eingetreten ist, nochmal wesentlich verstärken. Ich glaube nach wie vor, dass unser in der Verfassung verankertes Recht auf politisches Asyl, die Gleichberechtigung der Geschlechter, und die Meinungs- und Pressefreiheit die wichtigsten demokratischen Errungenschaften sind, die Deutschland zu bieten hat. Aber was jetzt abgeht, das kann wirklich Angst machen. Man fragt sich: ist es nun fünf vor oder doch schon fünf nach zwölf?


1 Kommentar:

  1. Passend zu diesem Thema natürlich der hier zu findende Blog-Post, den ich erst danach gesehen habe: http://anders-anziehen.blogspot.de/2016/01/von-sich-selbst-sprechen.html#more

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