Als Christo und Jeanne-Claude
1995 den Reichstag verhüllten,
war ich bereits mitten in meiner Doktorarbeit, außerdem wegen des laufenden
Semesters mit Unterrichtsverpflichtungen so eingespannt, dass nur eine
Gewalt-Wochenendaktion eine Fahrt nach Berlin möglich gemacht hätte. Mit dem
Nachtzug Freitagabend nach Berlin, Samstag in der Stadt, und mit dem nächsten
Nachtzug wieder zurück, um dann am Sonntag zu Hause auszuruhen. Wenn man unter
dreißig ist, traut man sich so etwas noch zu, und ist dann sogar bereit, sich
das auch noch zuzumuten! Allerdings war ich zu der Zeit per Fernbeziehung mit
einem Griechen liiert, der zu diesem Zeitpunkt gerade zu Besuch war, diese
ganze Verpackerei für völligen Blödsinn hielt und eindeutig keine Lust hatte,
zwei Nächte hintereinander im Zug zu verbringen. Er hat es tatsächlich
geschafft, mir mein festes Vorhaben auszureden. (Was das eigentlich über unsere
Beziehung aussagte, habe ich erst deutlich später gemerkt, aber das ist eine
ganz andere Geschichte.) Jedenfalls habe ich den verpackten Reichstag nicht
gesehen, nur später noch eine großformatige Fotografie erstanden.
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picture taken from here |
Als Christo und Jeanne-Claude
1998 die Bäume in Basel
verpackten, hatte ich schon alles arrangiert, um meine Freundin in Weil am Rhein
zu besuchen, deren Fenster den vollen Blick auf die Foundation Beyeler haben,
und von deren Wohnung man zu Fuss hätte hingehen könnnen. Leider wurde die
Verpackung ein paar Tage früher beendet als ursprünglich angekündigt, weil die
herabfallenden Laubmassen in den Verpackungen die Äste der verpackten Bäume zu
beschädigen drohten, und meine für das letzte Wochenende der Aktion geplante
Fahrt fand dann ohne Besuch der Bäume statt.
Als Christo und Jeanne-Claude 2005 im Central Park zugange
waren, war ich hochschwanger und konnte nicht daran denken, in die USA zu
fahren, diese (verpasste) Chance zählt also nicht mit. Mein Mann hat mich
anschließend durch zahlreiche Büchergaben zum Thema beschenkt.
Zwei Jahre später konnten wir zufällig in Rostock eine
Ausstellung sehen, die einen Überblick über bis dahin realisierte Projekte von
Christo und Jeanne-Claude bot, was auch schon sehr interessant war. Damals
glaubte ich, vermutlich auch das nächste, in Aussicht gestellte Projekt des
„Covered River“ nicht erleben zu können. (Stattdessen erhielt mein damals knapp
eineinhalbjähriger Sohn das erste Job-Angebot seines Lebens, da der
Aufsichtsmann ihm Chancen als lebendige Warnanlage zuschrieb – die hohen Gänge
waren einfach zu verlockend, herumzulaufen und mit lauten Rufen und Kreischern
das Echo und Klangentwicklung im Museum auszuprobieren…)
Als ich im März diesen Jahres nun davon hörte, dass Christo
im
Gasometer in Oberhausen ein „Big Air Package“ installierte, habe ich ganz
intensiv darüber nachgedacht, wie es denn möglich wäre, dieses Mal… Zuerst
schien sich nichts zu ergeben. Aber als ich von einer Hausmesse meines
Stoff-Lieferanten erfuhr, und auf die Landkarte schaute, wurden Wünsche wach.
Mein geduldiger und liebevoller Mann unterstützte die Idee durch äußerst konstruktive
Vorschläge, und nun habe ich es geschafft: mein erster Christo, ‚live’.
Gabi Mett hat neulich auf dem Texismus-Blog über ihren
Besuch berichtet. Da wusste ich schon, dass ich auch bald dort sein würde.
Mit dem Bus bin ich bis zur Oberhausener „Neuen Mitte“
gefahren, und dann habe ich mich dem Ganzen sozusagen von oben genähert, ich
bin nämlich erst außen am Gasometer die Treppen hinaufgestiegen und habe mir
die Aussicht von der Aussichtsplattform angesehen.
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und ich bin alle 110m hochgeklettert! |
Dann bin ich mit dem Panoramaaufzug runtergefahren, habe mir
erst die ganze Dokumentation und Ausstellung über die verschiedenen Projekte
angesehen, obwohl ich über die ja inzwischen wirklich gut Bescheid weiß.
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Interessant: grafische Darstellung der Projekte und ihrer Verwirklichungszeiträume |
Auf dieser Projektionsfläche wurden in Realzeit die
Aufnahmen gezeigt, die eine oben angebrachte Kamera vom Inneren der Skulptur
aufzeichnet – von weitem sah es erstmal so aus, als ob ein paar Insekten unter
einer Glasplatte gefangen waren. So sind auch die Besucher an der Entstehung
eines weiteren Kunstprojektes beteiligt, denn ihre Bewegungen im Innenraum der
Skulptur zeichnen ein eigenes Muster.
Und dann erst bin ich auch in die Luftskulptur
hineingegangen.
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Blick nach oben |
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Verschiedene Arten der Betrachtung |
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weiß in weiß |
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Luftloch, in das die Luft eingepumt wird |
In der Hülle konnte mein einerseits sitzen, herumgehen,
oder, wenn man Glück hatte, sich auf einem der Lederkissen hinlegen und in die
90 m über einem schwebende Lichtkette schauen. Zwar war wegen der zahlreichen
Besucher – darunter etliche Kinder, die mich in ihrem Alter und Gebaren
durchaus an meinen Sohn im Rostocker Museum erinnerten – von der auf diversen
Tafeln beschworenen ergreifenden Stille nicht wirklich viel zu merken. Aber ein ergreifender und lohnender Besuch war es doch.
„Big
Air Package“ ist noch bis Ende Dezember zu sehen, und man sollte wirklich viel Zeit mitnehmen, damit man sich lange innen aufhalten kann.