Ein Quilt, der in Birmingham meine Aufmerksamkeit erregt
hat, war dieser von Abigail Sheridan de Graaf, mit dem Titel „Should I stay or
should I go?“ Das heißt übersetzt „Soll ich bleiben oder gehen?“
Abigail Sheridan de Graaf, Should I stay or should I go?, gezeigt beim Festival of Quilts, Birmingham |
Im erläuternden Text des Programmheftes erklärte Abigail
Sheridan de Graaf, dass sie als gebürtige Engländerin, die mit ‚einem Kiwi’
(also einem Neuseeländer) verheiratet ist, zwei Töchter hat, von denen eine in
England und eine in Neuseeland geboren wurde, und während ihrer Ehe bereits jeweils
länger in beiden Ländern gelebt hat, eigentlich ständig zwischen den beiden
Ländern hin- und hergerissen ist. In beiden fühlt sie sich wohl, in beiden
vermisst sie bestimmte Aspekte des anderen Landes, und eigentlich ist sie immer
dabei, abzuwägen, ob sie in dem Land besser aufgehoben ist, wo sie sich jetzt
gerade befindet, oder in dem anderen...
Der erste Grund, weshalb der Quilt mir auffiel, war wohl,
dass ich weiß, dass Kathy Loomis zur Zeit mit dem Thema der Flagge im Quilt
arbeitet, hauptsächlich der amerikanischen, und ich immer mal wieder mit ihr
darüber im Austausch bin.
Ein anderer Grund ist natürlich, dass es sich bei de Graafs
Quilt mit der unteren um die neuseeländische Flagge handelt, die mir jederzeit
ins Auge springen würde, wenn ich sie irgendwo sehe. (Als ich vergangenen
November in Neuseeland war, ging es darum, ob die lange geltende Flagge
geändert werden sollte, dazu wurden zwei Referenden abgehalten.
https://en.wikipedia.org/wiki/New_Zealand_flag_referendums,_2015%E2%80%9316
Das Ergebnis war allerdings, dass das ursprüngliche Design
beibehalten wird.) Und dass ich mir irgendwie auch immer wieder die Frage
stelle, was wohl passiert wäre, wenn ich meinem Mann nicht noch zu dem
Zeitpunkt begegnet wäre, als es geschehen ist, weil ich mir einbilde, dass ich
dann eben vielleicht doch noch nach Neuseeland ausgewandert wäre – oder
vielleicht nicht....?
Und erst im Nachhinein, bei Betrachten der Bilder, die ich
in Birmingham gemacht habe, ist mir aufgefallen, dass mich das Thema dieses
Quilts auch noch in anderer Weise gerade persönlich betrifft. In diesem Fall
müsste man den Titel eher als „soll ich hingehen oder lieber weg- bzw.
hierbleiben“ übersetzen. Das Thema um das es geht, ist ein Klassentreffen
meines Abiturjahrganges, das plötzlich für diesen Herbst angesetzt worden ist.
Es handelt sich nicht um irgendein rundes Jubiläum, zu dem man sich
‚normalerweise’ versammelt – 31 Jahre, eher ein ungewöhnlicher Anlass, um zu
einem Treffen zu rufen – ich nehme an, dass es eher aus einer Laune heraus
veranlasst wurde, als die Organisatoren feststellten, dass zum 30. nichts
passierte.
Als der erste Aufruf kam, war ich zwar angetan von der Idee,
andererseits konnte ich mich eigentlich nicht wirklich daran erinnern, mit
einem Menschen dieses Namens in die Schule gegangen zu sein, wir hatten
jedenfalls keine Oberstufenkurse gemeinsam besucht. Meine Schullaufbahn verlief
etwas patchworkmäßig, da meine Familie im Karlsruher Raum umgezogen ist, als
ich in der 9. Klasse war, dann war ich in der 10. und 11. Klasse in einem
Klassenverband in der neuen Schule. Nach der 11. Klasse ging ich für ein Jahr
als Austauschschülerin in die USA, musste danach aber wegen des Punktesammelns
und der Gesamtabrechnung ein Jahr zurück und mit einem anderen Jahrgang die 12.
und 13. Klasse absolvieren. Das war der größte Jahrgang, der jemals in der
Schule Abitur gemacht hat, und außer den Mitschülern, die bei mir in den Grund-
und Leistungskursen waren, habe ich nicht viele so bewusst kennengelernt, dass
sie mir im Gedächtnis geblieben wären. Dementsprechend lose war dann auch mein
Zugehörigkeitsgefühl, und Kontakte haben sich keine dauerhaft erhalten. Mit ein
paar Leuten bin ich zwar auf facebook ‚befreundet’, aber das sagt nicht
wirklich etwas aus. Und nach der ersten Überlegung, dass es vielleicht nett
wäre, bei einem Jahrgangstreffen dabei zu sein, bin ich mehr und mehr zu der Überzeugung
gelangt, dass ich da nicht wirklich hingehen will. Wenn ich Kontakt hätte
halten wollten, weil mir die Leute wichtig waren, dann wäre das die ganzen
Jahre über auch passiert. Die Liste derjenigen, die sich schon mal als
interessiert an einer Teilnahme angemeldet haben, enthält aber so viele Namen,
an die ich mich nicht erinnern kann, dass ich immer weniger das Bedürfnis
verspüre, mich nach über 31 Jahren mit Leuten zu treffen, mit denen mich außer
der gemeinsamen Abschlussfeier eigentlich nichts verbindet. Und die ein oder
zwei, die mich vielleicht interessieren würden, sind als ‚unauffindbar’
gelistet. Ich habe auch überhaupt keine Fotos aus der Zeit oder von irgendwelchen Mitschülern.
Eine interessante Unterhaltung mit einem Freund, der vor
kurzem bei der Planung einer 40-jährigen College-Abschlussfeier dabei war (aber
dann nicht hingegangen ist, weil sie in England zu einem Zeitpunkt stattfand,
als er bereits wieder zurück in Neuseeland war), und der mir sagte „Du musst
unbedingt hingehen, denn Du wirst es bereuen, nicht dabei gewesen zu sein, wenn
Du hörst, dass es toll war!“ hat mich schließlich endgültig überzeugt. Ich
werde nicht hingehen, denn ich sehe nicht, was mir dieses Abendessen mit
eigentlich Unbekannten bringen wird. Es kann schon sein, dass das ein netter
Abend wäre. Aber da lerne ich lieber total Unbekannte neu kennen, ohne alte
Schulgeschichten mit dem Tenor „weisst Du noch/erinnerst Du Dich noch an...?“ auszukramen. Und auch
lieber bei einer kleineren Gelegenheit, ich habe es einfach nicht so mit
größeren Veranstaltungen. Ich werde also an dem Wochenende mit meinem Sohn zu
seinem Basketballspiel fahren.Aber bei dem erneuten Treffen mit meiner Gruppe vom Schüleraustausch, das vielleicht im kommenden Februar stattfindet, bin ich auf jeden Fall dabei, denn mit den Leuten verbindet mich etwas.
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