Samstag, 3. September 2016

Gehen oder bleiben?

Ein Quilt, der in Birmingham meine Aufmerksamkeit erregt hat, war dieser von Abigail Sheridan de Graaf, mit dem Titel „Should I stay or should I go?“ Das heißt übersetzt „Soll ich bleiben oder gehen?“

Abigail Sheridan de Graaf, Should I stay or should I go?,
gezeigt beim Festival of Quilts, Birmingham

Im erläuternden Text des Programmheftes erklärte Abigail Sheridan de Graaf, dass sie als gebürtige Engländerin, die mit ‚einem Kiwi’ (also einem Neuseeländer) verheiratet ist, zwei Töchter hat, von denen eine in England und eine in Neuseeland geboren wurde, und während ihrer Ehe bereits jeweils länger in beiden Ländern gelebt hat, eigentlich ständig zwischen den beiden Ländern hin- und hergerissen ist. In beiden fühlt sie sich wohl, in beiden vermisst sie bestimmte Aspekte des anderen Landes, und eigentlich ist sie immer dabei, abzuwägen, ob sie in dem Land besser aufgehoben ist, wo sie sich jetzt gerade befindet, oder in dem anderen...
Der erste Grund, weshalb der Quilt mir auffiel, war wohl, dass ich weiß, dass Kathy Loomis zur Zeit mit dem Thema der Flagge im Quilt arbeitet, hauptsächlich der amerikanischen, und ich immer mal wieder mit ihr darüber im Austausch bin.
Ein anderer Grund ist natürlich, dass es sich bei de Graafs Quilt mit der unteren um die neuseeländische Flagge handelt, die mir jederzeit ins Auge springen würde, wenn ich sie irgendwo sehe. (Als ich vergangenen November in Neuseeland war, ging es darum, ob die lange geltende Flagge geändert werden sollte, dazu wurden zwei Referenden abgehalten.
https://en.wikipedia.org/wiki/New_Zealand_flag_referendums,_2015%E2%80%9316
Das Ergebnis war allerdings, dass das ursprüngliche Design beibehalten wird.) Und dass ich mir irgendwie auch immer wieder die Frage stelle, was wohl passiert wäre, wenn ich meinem Mann nicht noch zu dem Zeitpunkt begegnet wäre, als es geschehen ist, weil ich mir einbilde, dass ich dann eben vielleicht doch noch nach Neuseeland ausgewandert wäre – oder vielleicht nicht....?
Und erst im Nachhinein, bei Betrachten der Bilder, die ich in Birmingham gemacht habe, ist mir aufgefallen, dass mich das Thema dieses Quilts auch noch in anderer Weise gerade persönlich betrifft. In diesem Fall müsste man den Titel eher als „soll ich hingehen oder lieber weg- bzw. hierbleiben“ übersetzen. Das Thema um das es geht, ist ein Klassentreffen meines Abiturjahrganges, das plötzlich für diesen Herbst angesetzt worden ist. Es handelt sich nicht um irgendein rundes Jubiläum, zu dem man sich ‚normalerweise’ versammelt – 31 Jahre, eher ein ungewöhnlicher Anlass, um zu einem Treffen zu rufen – ich nehme an, dass es eher aus einer Laune heraus veranlasst wurde, als die Organisatoren feststellten, dass zum 30. nichts passierte.
Als der erste Aufruf kam, war ich zwar angetan von der Idee, andererseits konnte ich mich eigentlich nicht wirklich daran erinnern, mit einem Menschen dieses Namens in die Schule gegangen zu sein, wir hatten jedenfalls keine Oberstufenkurse gemeinsam besucht. Meine Schullaufbahn verlief etwas patchworkmäßig, da meine Familie im Karlsruher Raum umgezogen ist, als ich in der 9. Klasse war, dann war ich in der 10. und 11. Klasse in einem Klassenverband in der neuen Schule. Nach der 11. Klasse ging ich für ein Jahr als Austauschschülerin in die USA, musste danach aber wegen des Punktesammelns und der Gesamtabrechnung ein Jahr zurück und mit einem anderen Jahrgang die 12. und 13. Klasse absolvieren. Das war der größte Jahrgang, der jemals in der Schule Abitur gemacht hat, und außer den Mitschülern, die bei mir in den Grund- und Leistungskursen waren, habe ich nicht viele so bewusst kennengelernt, dass sie mir im Gedächtnis geblieben wären. Dementsprechend lose war dann auch mein Zugehörigkeitsgefühl, und Kontakte haben sich keine dauerhaft erhalten. Mit ein paar Leuten bin ich zwar auf facebook ‚befreundet’, aber das sagt nicht wirklich etwas aus. Und nach der ersten Überlegung, dass es vielleicht nett wäre, bei einem Jahrgangstreffen dabei zu sein, bin ich mehr und mehr zu der Überzeugung gelangt, dass ich da nicht wirklich hingehen will. Wenn ich Kontakt hätte halten wollten, weil mir die Leute wichtig waren, dann wäre das die ganzen Jahre über auch passiert. Die Liste derjenigen, die sich schon mal als interessiert an einer Teilnahme angemeldet haben, enthält aber so viele Namen, an die ich mich nicht erinnern kann, dass ich immer weniger das Bedürfnis verspüre, mich nach über 31 Jahren mit Leuten zu treffen, mit denen mich außer der gemeinsamen Abschlussfeier eigentlich nichts verbindet. Und die ein oder zwei, die mich vielleicht interessieren würden, sind als ‚unauffindbar’ gelistet. Ich habe auch überhaupt keine Fotos aus der Zeit oder von irgendwelchen Mitschülern.
Eine interessante Unterhaltung mit einem Freund, der vor kurzem bei der Planung einer 40-jährigen College-Abschlussfeier dabei war (aber dann nicht hingegangen ist, weil sie in England zu einem Zeitpunkt stattfand, als er bereits wieder zurück in Neuseeland war), und der mir sagte „Du musst unbedingt hingehen, denn Du wirst es bereuen, nicht dabei gewesen zu sein, wenn Du hörst, dass es toll war!“ hat mich schließlich endgültig überzeugt. Ich werde nicht hingehen, denn ich sehe nicht, was mir dieses Abendessen mit eigentlich Unbekannten bringen wird. Es kann schon sein, dass das ein netter Abend wäre. Aber da lerne ich lieber total Unbekannte neu kennen, ohne alte Schulgeschichten mit dem Tenor „weisst Du noch/erinnerst Du Dich noch an...?“ auszukramen. Und auch lieber bei einer kleineren Gelegenheit, ich habe es einfach nicht so mit größeren Veranstaltungen. Ich werde also an dem Wochenende mit meinem Sohn zu seinem Basketballspiel fahren.
Aber bei dem erneuten Treffen mit meiner Gruppe vom Schüleraustausch, das vielleicht im kommenden Februar stattfindet, bin ich auf jeden Fall dabei, denn mit den Leuten verbindet mich etwas.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen